Die Bettelprophetin
stehst einmal auf?» Das war der Jüngere, der Dünne.
Theres erhob sich verunsichert.
«Und jetzt drehst dich einmal. Aber ganz langsam. Ah – schaut euch das an. Diese Linie vom Busen zur Hüfte – und erst der Hintern. Da möchte man ein Maler sein und alles nachzeichnen.»
«Aber net mit Feder und Tinte», kicherte Wohlgschafft.
Trotz der stickigen Schwüle im Raum fror Theres plötzlich.
«Ich geh dann mal wieder», flüsterte sie. Unwillkürlich wandte sie den Kopf zur Tür und lauschte. Drüben in der Küche war alles still. Die Köchin war sicher schon zu Bett gegangen, und Marie trieb sich wie immer mit dem Knecht irgendwo im Stall herum.
«Hier bleibst!» Wohlgschafft klatschte in die Hände. «Mir ham dir noch einen formidablen Vorschlag zu machen. Na los, Toni, sag’s ihr schon. War schließlich deine Idee.»
Der Dicke erhob sich schwerfällig.
«Hör zu, Theres. Wenn du dich ganz nackert machst und uns vortanzt, kriegst von uns einen Großen Taler! Ehrenwort!»
Theres erstarrte. Sie konnte nur noch mit dem Kopf schütteln.
«Jetzt sei bloß net so schenant! Is doch nix dabei, Mädle. Die Cathrin hat das auch immer für uns g’macht.»
Als der Dicke sich jetzt auf sie zu wälzte und ihr mit beidenHänden an den Busen grabschte, war sie mit einem Satz bei der Tür.
«Ich schrei den ganzen Hof zusammen!»
Der Mann schnappte nach Luft.
«Ist doch immer dasselbe mit euch jungen Dingern. Erst streckt ihr einem Busen und Ärschle entgegen und macht einen ganz schalu, und will man sich dann ans Auspacken machen, werdet ihr hysterisch wie eine alte Brunzkachel.»
Den Rest hörte Theres schon nicht mehr, denn sie rannte durch die Eingangshalle hinaus in den dunklen Hof, stolperte dabei über die Schwelle, rappelte sich wieder auf und erreichte endlich den Feldweg, der in ihr Dorf führte. Keuchend blickte sie zurück: Niemand war ihr gefolgt.
Tränen liefen ihr übers Gesicht, als sie sich in der Dunkelheit mühte, dem schmalen Weg zu folgen. Ihr war kalt in ihrem dünnen Kleid, und sie hatte Angst, dass die Männer ihr nachreiten und sie zurückholen könnten. Bei jedem Rascheln im Gebüsch, bei jedem Knacken unter ihren Füßen zuckte sie zusammen, und als vor ihr etwas Dunkles, Felliges über den Weg huschte, stieß sie vor Schreck einen lauten Schrei aus.
Endlich erreichte sie die ersten Häuser. Ihr Herzschlag beruhigte sich allmählich, und ihre Angst ging über in Wut. So leise als möglich schlich sie durch die stillen Gassen, um keine Hunde aufzuschrecken. In der Studierstube des Pfarrers flackerte noch Licht. Erst vorsichtig, dann immer energischer schlug sie den Eisenring gegen die Tür, bis sie im Innern unter Konzets schweren Schritten die Treppenstufen ächzen hörte.
«Wer da?»
«Theres.»
Der Riegel wurde zurückgeschoben. Vor ihr stand Peter Konzet in Morgenmantel und Zipfelmütze und leuchtete ihr mit der Laterne ins Gesicht.
«Um alles in der Welt – was ist denn passiert?»
Ohne eine Antwort zu geben, drückte sich Theres an ihm vorbei und stieg die Treppe hinauf.
«Warte! Ich verlange eine Erklärung!»
Auf der obersten Stufe drehte Theres sich um.
«Fragen Sie doch Ihren sauberen Freund Wohlgschafft! Sie hätten mich niemals dorthin schicken dürfen.»
Dann kletterte sie die schmale Dachstiege nach oben, stieß die Tür zu ihrer Kammer auf und zerrte in der Finsternis ihre Habseligkeiten aus der Kleiderkiste.
«Um alles in der Welt – was tust du da?» Konzet stand breitbeinig im Türrahmen.
«Ich packe meine Sachen.»
Konzet stellte die Laterne ab und setzte sich auf den Holzschemel. Sein Atem ging schwer.
«Auf der Stelle sagst du mir, was los ist.»
«Ich gehe weg, morgen früh. Ich fühle mich, als ob ich hier ersticke.» Sie wunderte sich selbst über ihren Mut. «Und dann – dieser eklige Kerl – wie kann so einer Ihr Freund sein!»
Mit offenem Mund stierte der Pfarrer sie an. «Ist er – hat er …?»
Ungerührt packte Theres weiter ihre Tasche. Jetzt, im Schein der Laterne, ging es fix.
«Ich versprech dir – ich lass dich nie wieder zu Wohlgschafft gehen. Ich werde ein ernstes Wörtlein mit ihm reden, glaub mir!»
Theres legte die beiden Holzpferdchen zuoberst und schnürte die Tasche zu. «Morgen geh ich», wiederholte sie tonlos.
«Bitte, tu’s nicht! Wir beide kommen doch gut miteinander zurecht. Ich war doch immer zufrieden mit deiner Arbeit, wirklich. Und das mit den Schlägen letzten Sommer und dass ich dich eingesperrt hab –
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