Die Bettelprophetin
Anrichte. Wie wenig sie die Familie Schönfärber auch mochte – von dem Hausherrn einmal abgesehen –: In dieser Runde würde sie wenigstens nicht Gefahr laufen, mittrinken zu müssen.
«Ich weiß gar nicht, wie ich das alles schaffen soll nächste Woche», hörte sie die Hausherrin jammern, während sie die Gläser auswischte und auf den Tisch stellte. «Montag früh ist die Sammlung für die indische Mission, am Nachmittag Sitzung des verwahrlosten Kindervereins. Am Mittwoch geht es grad so weiter, da ist die Gründung der Beschäftigungsanstalt für brotlose Mädchen, und die Missionslotterie sollte bis Samstag auch vorbereitet sein. Und ausgerechnet jetzt bin ich dran mit der Runde der Krankenbesuche und der Visitation der neuen Suppenanstalt.»
«Ach, mein Schatz: Ich finde, du mutest dir zu viel zu.»
«Und was ist dann mit unserer Abendvorlesung über die Literatur der Chinesen?», maulte Kornelie.
Frau Schönfärber seufzte. «Ich weiß, mein Kind. Dann wird dich eben das Fräulein Euphrosina begleiten.»
Ihr Blick fiel auf Theres. «Was stehst du noch hier herum? Du kannst gehen.»
Die große Enttäuschung folgte am nächsten Abend, als die Hausherrin mit Konstania und den Zwillingen aus Tettnang zurückkehrte.
«Deine Sophie haben sie längst davongejagt. Das Luder hatte mit dem ältesten Sohn des Hauses angebändelt.»
«Nein!»
Theres stockte der Atem. Nur deshalb, nur um in Sophies Nähe zu sein, war sie doch hierher nach Ravensburg gekommen! Es war, als würde ihr jemand den Boden unter den Füßen wegziehen. Zugleich wurde sie fast wütend auf ihre Freundin.
«Wo – wo ist sie jetzt?»
«Woher soll ich das wissen? Wahrscheinlich treibt sie sich auf der Straße herum. Man weiß ja, wie es mit solchen Weibsbildern endet.»
Wenige Tage später musste Klaudius mit einem heftigen Sommerkatharr das Bett hüten. Alwina Schönfärber wies Theres an, ihm einen Becher heißer Milch mit Honig ins Knabenzimmer zu bringen.
«Ich hoffe, du wenigstens weißt dich zu benehmen», sagte die Hausherrin in drohendem Unterton, und Theres begriff sofort, worauf sie anspielte. Dabei hätte sie beinah laut aufgelacht. Klaudius war ein dicklicher, untersetzter Junge, der seine Nase nur in Bücher steckte und sicherlich nicht einmal wusste, was den Unterschied zwischen Mann und Weib ausmachte. Dabeimochte sie ihn eigentlich ganz gern. Wenigstens scheuchte er sie nicht in der Gegend herum wie diese verzogenen Zwillingsgören und verhielt sich höflich ihr gegenüber.
Ohnehin interessierte sie sich keinen Deut für Jungen. Wenn es einen gab, an den sie manchmal voller Wehmut denken musste, dann war das Elie. Aber den würde sie wohl nie wiedersehen. Und zwei- oder dreimal hatte sie nachts, zu ihrer Verwirrung, von Pfarrer Seibold geträumt. Er hatte erneut das Gespräch mit ihr gesucht und sie mit leuchtenden Augen angesehen – so wie damals in Konzets Stube. Trotzdem war sie sich sicher, dass sie nie wieder ein Mann interessieren würde. Nur: Was würde dann aus ihr werden, wenn sie alt war? Schließlich war der Lebensweg eines Dienstmädchens genau vorgezeichnet: Man blieb so lange in Stellung, bis das mit harter Arbeit Ersparte für Aussteuer und Heirat reichte. Der eigene Herd war oberstes Ziel einer jeden Magd, das war bei Rösle nicht anders als bei Sophie. Sie aber würde wahrscheinlich enden wie die arme, stumme Elisabetha, die bis zum Lebensende auf eine mitleidige Seele wie Pfarrer Konzet angewiesen war.
14
Bürgerhaus in Ravensburg, Herbst, Winter 1839/40
Nachdem Theres einen weiteren Monat hatte zur Probe arbeiten müssen, ohne einen Heller zu Gesicht zu bekommen, wurde sie Mitte September endlich feierlich in Stellung genommen: Bis auf die kurz zuvor abgereiste Kornelie nahmen sämtliche Schönfärbers Aufstellung rund um den Küchentisch, dazu die neue Haustochter Maximiliane, ein blasses, schwächliches Persönchen, die Gouvernante und Rösle. Selbst Musch, der fette Hauskater, kam hereingeschlichen, wohl in Erwartungeines Leckerbissens. Theres musste den Vertrag unterschreiben, der sie verpflichtete, die geltende Gesindeordnung einzuhalten, und der ihr im Gegenzug zwölf Gulden aufs Jahr gewährte. Ein Viertelgulden davon stehe ihr zum Monatsende zur freien Verfügung, Dreiviertelgulden seien von der Herrschaft auf die Dienstboten-Sparkasse zu übertragen.
Von Rösle wusste Theres, dass sie damit an der untersten Lohngrenze der hiesigen Mägde stand, aber was sollte sie machen? Frau
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