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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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begegnet?»
    Theres nickte, jetzt noch verlegener als zuvor. «Im Pfarrhaus. Bei Pfarrer Konzet.»
    «Genau! Dann bist du die Theres. – Verzeihung: Dann sind
Sie
Theres. Sie sind ja ein richtig junges Fräulein geworden. Da kann ich unmöglich mehr Du sagen.»
    Sie sah ihn verblüfft an. Dass er ihren Namen noch wusste!
    «Ich vermute, Sie sind nicht mehr Magd im Pfarrhaus.»
    «Ich bin jetzt in Stellung hier in Ravensburg.»
    Er schien ihr nicht ganz zu glauben. «Und da haben Sie kein Geld, eine Wurst zu kaufen? Eine geizige Herrschaft, die seinem Dienstpersonal keinen Zehrpfennig auf ein Stadtfest mitgibt!»
    «Ich fang meine Stellung erst heut Abend an. Ich war lange Zeit krank.»
    Patriz Seibold hielt kurz inne. Dann griff er in die Tasche seiner Soutane und drückte Theres fünf Kreuzer in die Hand.
    «Kaufen Sie sich hiervon etwas zu trinken, es ist heiß heute.»
    Mit einem «Behüt Sie Gott» legte er ihr die Hand auf die Schulter, verharrte für einen Moment, als wollte er noch etwas sagen, um schließlich in der Menschenmenge zu verschwinden.
     
    Es hätte ein schöner Tag werden können, hätte sich Theres inmitten der Menschenmenge nicht zunehmend einsam gefühlt. Ziellos war sie herumgewandert und am Ende beim Festgelände auf der Kuppelnau gelandet. Nie zuvor war sie hier herausgekommen, zu diesem großen Festplatz im Norden der Stadt, der von Linden und Akazien beschattet war, umgeben mit Alleen und herrlichen Gärten. Heute war er abgesperrt, und nur wer die verlangte Eintrittskarte besaß, durfte eine der beiden Ehrenpforten passieren. So sah sie nur von weitem Tribüne und Festhütte, beide mit Blumen, Fahnen und Girlanden geschmückt, doch zu hören war der Sängerwettstreit auch von hier, wo sich zwischen den Ständen der hiesigen Gastwirte ebenfalls viel Volk gesammelt hatte. Der vielstimmige Gesang rührte ihr ans Herz. Irgendwann setzte sie sich ins Gras, verbarg den Kopf im Schoß, damit niemand sah, wie sie weinte.
    Es tat weh, so allein zu sein. Den ganzen Tag unter Menschen zu verbringen, die immer fröhlicher und ausgelassener wurden, die mitsangen und sich Arm in Arm im Takt der Musikwiegten, gemeinsam aßen und tranken. Vergebens hatte sie nach Rosina ausgeschaut, vergebens nach Pfarrer Seibold, der sie vielleicht getröstet hätte.
    Fast war sie froh, als die Sonne hinter den Hügeln verschwand und ein kühler Wind die Sommerwärme vertrieb. Böllerschüsse beendeten den Wettstreit, und der ganze Platz samt den umliegenden Gartenhäusern erstrahlte in prächtiger Festbeleuchtung. Theres reihte sich ein in den Strom der Menschen, die sich unter lautem Gesang auf den Weg zu ihren Quartieren machten oder zu einem der abendlichen Festbälle. Auch drinnen in der Stadt waren Türme und Tore, die Gasthöfe und sämtliche wichtigen Gebäude eindrucksvoll illuminiert, doch all diese Herrlichkeit war nicht für Theres bestimmt.
    Das Haus des Wagnermeisters am oberen Marienplatz lag still und dunkel. Vergebens schlug sie wieder und wieder den Eisenring gegen die Tür, dann gab sie es auf und hockte sich auf die Treppenstufe. Von nebenan, aus dem Gasthof
Zum Lamm
, drang fröhliche Tanzmusik, und sie konnte hinter den erleuchteten Fensterscheiben die Schatten der Feiernden sehen, wie sie hin und her sprangen.
    Ein unterdrücktes Kichern ließ sie auffahren. Im Dunkel der Hofeinfahrt neben der Haustür erkannte sie zwei engumschlungene Gestalten, die sich ganz offensichtlich küssten. Rasch sprang sie auf die Beine, die beiden Schatten lösten sich voneinander, und eine junge Frau, vielleicht Anfang zwanzig, trat auf das vom Mondlicht beschienene Straßenpflaster.
    «Was hast du hier zu schaffen?»
    Das Gesicht der Fremden war ein wenig schief geschnitten und für Theres’ Begriff viel zu stark geschminkt und gepudert. Zudem wirkten ihre Augen reichlich glasig.
    «Ich bin Theres Ludwig, die neue Magd von Wagnermeister Senn.»
    «Wer? – Heidenei, das hatt ich ganz vergessen.» Sie reichte ihrem Begleiter, der noch immer im Dunkeln stand, förmlich die Hand. «Recht herzlichen Dank dann also für Ihre Begleitung. Gute Nacht! – Und du komm mit. Bin die Jakobine Senn, die Tochter.»
    Sie zog einen Schlüsselbund aus der Tasche und hatte ganz offensichtlich Mühe, das Schloss aufzusperren. Theres wollte helfen, doch die junge Frau stieß sie zur Seite. «Lass das.»
    Als die Tür endlich aufsprang, stolperte Jakobine Senn hinein in den dunklen Flur und suchte unter lauten Flüchen nach einer

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