Die Bettelprophetin
Lampe.
«Dieser Simpel von Knecht. Dauernd stellt er sie woanders ab.»
Das Licht eines Öllämpchens leuchtete auf und schien Theres geradewegs ins Gesicht.
«Sabberlodd – bist du aber noch ein junges Ding!»
«Fast siebzehn.»
«Ach, ist eh wurscht. Ich zeig dir deine Kammer. Morgen früh fängst dann an in der Küche. Aber mich lässt gefälligst ausschlafen.»
Den ganzen Sommer über arbeitete Theres bei Wagnermeister Senn. Vom Hausherrn bekam sie wenig mit. Von früh bis spät war er in seiner Wagen- und Chaisenfabrik, die er im vergangenen Winter vor dem Frauentor gegründet hatte. Mittags musste Theres ihm einen großen Topf mit warmem Essen bringen, das für vier ausgewachsene Mannsbilder reichen musste: für den Meister selbst und seinen Gesellen, den Schmied und den Lackierer. Sie hatte nur wenig Erfahrung in der Kochkunst und an Jakobine keinerlei Hilfe. So war dies eigentlich der anstrengendste Teil ihrer Arbeit, aber zum Glück stellten die Männer keine großen Ansprüche. Und was die Hausarbeitbetraf: Weder Vater noch Tochter schien es zu kümmern, ob sie putzte oder nicht.
Ein weiterer Vorteil war, dass man ihr gegenüber niemals unfreundlich oder ungerecht war. Sie wäre liebend gern für einige Zeit hiergeblieben, zumal sie sich in Ravensburg langsam heimischer zu fühlen begann. Aber bereits Ende September, nachdem sie drei Monate in Stellung war, fing das Unglück an: Anton Senn konnte ihren Lohn nicht bezahlen! Dass das Geld für die Markteinkäufe immer äußerst knapp bemessen war, war ihr bereits von Anfang an aufgefallen. Dass es indessen so schlimm um seine Geldmittel stand, hätte sie niemals vermutet.
«Aber – ich brauch ein neues Kleid für den Winter», stotterte Theres erschrocken, «und von den Schönfärbers hatte ich ja auch schon nichts bekommen.»
«Mach dir keine Sorgen», versuchte Anton Senn sie zu beruhigen. «Sobald ich den Auftrag für den Zweispänner unter Dach und Fach hab, kriegst du deinen Anteil, und ich zahl alles auf die Dienstboten-Sparkasse ein, was noch aussteht.»
Sie bekam allerdings auch in den nächsten Wochen keinen Kreuzer zu Gesicht. Stattdessen suchte er sie pünktlich zu Martini frühmorgens in der Küche auf und eröffnete ihr mit zerknirschter Miene, dass er sie nicht weiter halten könne. Seine Tochter Jakobine müsse künftig ihre Arbeit übernehmen.
«Es tut mir von Herzen leid, Theres. Es steht einfach übel um meine Fabrik. Vielleicht findest ja heut auf dem Gesindemarkt eine neue Stellung. Hier, das ist alles, was ich dir geben kann.»
Er drückte ihr ein paar Pfennige in die Hand. Theres konnte es nicht fassen. Sie hatte ihm vertraut, hatte sogar geglaubt, dass es wieder aufwärtsgehe, als Jakobine kürzlich mit einem nagelneuen Hut hereingeschneit kam.
Wortlos band sie ihre Arbeitsschürze los und warf sie auf den Tisch. Sie verließ die Küche, hörte den Wagnermeister noch rufen,dass sie gerne noch für ein paar Tage bleiben könne, falls sie kein Glück habe auf dem Markt, doch sie kümmerte sich nicht darum. Mit Tränen in den Augen stieg sie die Treppe hinauf in die Kammer und packte ihr Bündel. Nun war sie also wieder ohne Lohn und Brot, und das kurz vor Wintereinbruch!
Draußen tobte ein eisiger Sturm durch die Gassen, der den Regen ins Gesicht peitschte. Theres zog die Kapuze ihres zerschlissenen, inzwischen viel zu kurzen Umhangs über den Kopf und kämpfte sich durch das Unwetter hinüber in die Bachgasse, wo sich zu Martini und Lichtmess die Mägde und Knechte aus der Umgebung sammelten, um eine neue Stellung zu finden. Bei diesem Wetter allerdings war die Straße vor dem Gasthof Krone wie leergefegt. Eine Handvoll Frauen drängte sich unter einem Vordach zusammen. Für Theres war kein Platz mehr. So stellte sie sich mitten aufs Pflaster, Schuhe und Strümpfe durchnässt, das Wasser rann ihr vom Gesicht in den Kragen. Bis zum Mittagsläuten stand sie hier. Ihre Füße waren zu Eisklötzen gefroren, ihr Kopf schmerzte, ihr Körper zitterte vor Kälte. Währenddessen hasteten die wenigen Passanten achtlos an ihr vorüber.
«Hannes!», rief sie plötzlich. «Hannes!»
Der hochgewachsene junge Mann, der eben am Krückstock an ihr vorbeigehumpelt war, drehte sich um.
«Ich heiß Hans», sagte er erstaunt. «Was wollen Sie von mir? Ich kenn Sie doch gar nicht.»
«Ach Gott … ich dachte … eine Verwechslung.» Theres begann zu schwanken. Sie wollte hinüber ins Gasthaus, ins Warme und Trockene, sich für
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