Die Beute
Hannah und Corrine waren dort. Von Mördern eingesperrt.
Jodie musste an die anderen Gruben unter der Scheune denken, ihr wurde heiß und kalt zugleich. Hatten sie auch Tina ihr eigenes Grab schaufeln lassen? Doch Jodie hatte kein Grab geschaufelt. Sie hatte Tina ausgebuddelt. Sie sah Matt in der Dunkelheit an. Er hatte sich auf den Boden gehockt und blickte mit zusammengekniffenem Mund den Hügel zur Scheune hinauf. Jodie kniete neben ihm. »Was hast du ausgegraben?«
Er ließ die Scheune nicht aus den Augen und bewegte kaum merklich die Lippen. »Eine Kiste.«
Eine Kiste?
Eine Art Sarg?
Jodie schloss die Augen, schluckte und zwang sich zu atmen.
Ein Schuss fuhr durch die Nacht.
Der Klang hallte in ihren Ohren und im Tal wider. In Gedanken sah sie Louise, Hannah und Corrine im Schrank zusammengedrängt kauern, mit angstverzerrten Gesichtern. Sie sprang auf, ihr Stöhnen hörte sich wie eine Sturmbö in ihren Ohren an.
Sie sah zum Schlafzimmer. Ihre Beine waren bereits in Bewegung, als ein zweiter Schuss die Dunkelheit erschütterte. Oh, mein Gott, nein. Das Adrenalin wirkte wie ein Startschuss. Sie setzte sich in Bewegung und wollte loslaufen, doch Matt hielt sie zurück. Ein Arm packte sie um die Taille und zog sie zurück.
Sie fiel hin und landete auf Laub, da zerriss ein dritter Schuss die Nacht.
»Nein, nein, nein«, heulte sie.
Sie wollte schreien, doch Matt hatte ihr die Luft aus den Lungen gepresst. Sie wollte brüllen, um sich schlagen und treten und hatte das auch versucht, als sie zu Boden gefallen war, doch er hielt sie fest, drückte ihre Arme an die Seiten. Er sagte irgendwas, wiederholte es immer und immer wieder, doch sie hörte nur den vierten Schuss, ihr wurde schwindelig, sie fing zu zittern an, und Tränen stiegen ihr in die Augen.
Sie waren tot. Sie hatte sie zurückgelassen, und jetzt waren alle tot. Louise, Hannah und Corrine waren tot. Und Angie. Vier Freundinnen. Vier Schüsse. Einer für jede.
Matt sagte nichts mehr. Er atmete nur. Es war ein lautes, angestrengtes Atmen. Sein Brustkorb hob und senkte sich an ihrem Rücken. Seine Arme um ihren Bauch wirkten wie ein Gurt nach einem Zusammenstoß. Jodie kniff die Augen zusammen und versuchte die blutigen Bilder zu verdrängen, die sich den Weg in ihren Kopf bahnten.
»Tut mir leid, Jodie, es tut mir so leid«, flüsterte Matt ihr ins Ohr.
Eine Träne rann ihre Wange herab und hinterließ eine kalte Spur auf ihrem Gesicht.
»Hey, Wiseman!«
Jodie zuckte zusammen. Das war Kane. Schritte donnerten über die Holzveranda und an der Scheune entlang.
»Na los, spiel doch mal den Helden, Wiseman. Versuch doch an den Scheinwerfern vorbeizukommen, ich möchte dich Schwein jagen.« Er heulte auf wie ein Irrer.
Matt stockte der Atem. Als er sich wieder gefangen hatte, atmete er noch angestrengt, aber regelmäßig.
»Hey, du Schwein«, brüllte Kane.
Matt zog seinen Arm fort und legte einen Finger auf die Lippen. Neben Kanes waren andere Schritte auf der Veranda zu hören. Auch Travis war jetzt herausgetreten.
»Versuch doch mal, bis zum Wagen der Schlampen zu laufen, und schau mal, wie weit du mit zerschossenen Reifen kommst, Drecksau«, Kanes wildes Lachen hing in der Dunkelheit.
Jodie riss den Kopf hoch. Zerschossene Reifen. Vier Reifen. Vier Schüsse. Nicht Louise, Hannah und Corrine. Kane hatte nicht auf sie geschossen. Er hatte auf die Reifen geschossen. Hätte er ihre Freundinnen erschossen, würde er jetzt damit herumprahlen.
Sie waren nicht tot.
Sie sah Matt an und suchte nach Bestätigung. Er schloss die Augen, ein Muskel an seinem Kiefer bewegte sich, er biss die Zähne zusammen. Dann sah er ihr in der Dunkelheit in die Augen, und sie wusste, dass sie recht hatte. Eine Welle der Erleichterung überkam sie. Sie atmete heftig ein, als könnten ihre Lungen gar nicht genug Sauerstoff bekommen. Als atme sie auch für ihre Freundinnen, als halte sie sie damit am Leben. Matt legte einen Arm um ihren Hals und zog sie an sich, drückte ihr Gesicht an seine Schulter und seines in ihr Haar. Sie krallte sich an seinem Hemd fest.
Sie leben, Jodie. Sie sind im Schrank eingeschlossen, sie sind verletzt und haben schreckliche Angst, aber sie sind nicht tot.
Die Schritte entfernten sich, wurden leiser, dann verklangen sie ganz, einer der Brüder lief hinten an der Scheune entlang, während der andere den vorderen Teil des Gebäudes kontrollierte.
Matt packte sie an den Schultern. »Du musst Hilfe holen«, sagte er leise.
Angie, wir
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