Die Beute
seinen Bruder. Jodie schnappte nach Luft. Er versuchte, sein Gewicht mehr auf die Arme zu verlagern, doch sie zog ihn fester an sich.
»Hey, Wiseman«, das Rascheln hörte auf. »Ich komme wieder. Hast du gehört? Ich prügel dich windelweich und hack dich zu Kleinholz. Dann grab ich ein Loch und steck dich rein.«
Matt erstarrte. Wie die Löcher unter der Scheune?
Blätter raschelten, als Kane sich entfernte.
»Dich, deine zähe Schlampe und ihre Freundinnen«, schrie Kane.
31
Matt wog schwer. Er erdrückte sie fast. Aber er war das Einzige, was sie noch aufrechthielt.
Großer Gott, Kane ging zurück, um ihre Freundinnen zu töten.
Das Rascheln im Gebüsch hörte auf, als Kane auf die Lichtung hinaustrat. Er musste sich umgedreht haben, denn seine Stimme klang jetzt lauter und klarer; kalt, hart und grausam.
»Ich habe das perfekte Plätzchen für dich, Wiseman. Direkt neben der Schlampe, die du nie gefunden hast.«
Sie spürte, wie Matt über ihr erstarrte. Dann, ohne Vorwarnung, presste er seine Handflächen auf den Boden und stieß sie weg. Sie wusste sofort, was er vorhatte. Er stand kurz davor, Kane nachzulaufen. Und Kane würde ihn erschießen. Sie packte ihn und hielt ihn auch mit den Beinen umklammert.
»Nein!«, zischte sie ihm ins Ohr.
Matt drückte sie weg und versuchte sich zu befreien. Ihre Arme hatten kaum noch Kraft, sie hatte ihn über die Wiese gezogen und hätte ihn jetzt am liebsten geschlagen, weil er versuchte, den Helden zu spielen, und sie aufgefordert hatte loszulaufen. Als hätte er das Recht, so eine Entscheidung zu fällen. Doch sie klammerte sich einfach an ihm fest. Er würde das hier überleben, ob er wollte oder nicht. Der Kampf unterdrückte immerhin ihr ständiges Zittern. Vielleicht kam das aber auch daher, dass sie seinen warmen Körper umschlungen hielt. Er war groß, stark und entschlossen – und er beschützte sie. Sehr viel mehr konnte sie von einem Mann nicht verlangen. Dann ließ plötzlich die Spannung nach, als hätte er sein Vorhaben aufgegeben. Sein Gewicht ruhte wieder auf ihr. Sie lockerte ihre Arme, atmete an seinem Hals und sog den Geruch des verschwitzten, mit Schmutz bedeckten Mannes in sich ein.
Kanes Schritte donnerten die Holzstufen hinauf und über die Veranda. Er rief etwas, als er durch die Tür ging. Travis schrie irgendwas zurück. Jodie schloss die Augen. Sie hätte den Gang entlang zurück zu ihren Freundinnen laufen sollen.
»Alles in Ordnung?«, flüsterte Matt. Er war ihr so nahe, dass sie sein Gesicht in der Dunkelheit erkennen konnte. Eine weitere blutige Schramme war auf seiner Wange zu sehen.
»Was sollte der Überfall vorhin?«, fragte sie.
»Dein Pulli hat wie eine Glühbirne in der Dunkelheit geleuchtet. Kane war genau hinter mir.«
Sie schob ihn fort und setzte sich auf. Doch ohne seine Körperwärme war ihr plötzlich kalt. »Was zum Teufel hast du vorhin gemacht? Hatte ich dir nicht gesagt, du solltest rennen? Aber du bist einfach sitzen geblieben.«
Es folgte eine kurze Pause, dann sagte er: »Ich konnte nicht aufstehen. Mein Knie …«
»Und später? Da ging es plötzlich, und du kamst ganz gut voran.«
»Ich habe versucht, dir das Leben zu retten.«
Wut und Angst brannten in ihrem Hals. Sie wollte ihre Arme um ihn legen, ihn fest an sich drücken, doch stattdessen bohrte sie ihren Finger in seine Brust. »Ich brauche keinen verdammten Helden. Ich brauche dich lebend.«
Er sah auf ihren Finger herab und kniff dabei ein wenig die Augen zusammen. Sie wusste nicht, ob er sauer oder belustigt war. Vielleicht war er beides. »Komm. Wir müssen weiter«, sagte er.
Jodie stand auf und sah Matt zu, der sich unbeholfen aufrappelte und dabei auf sein Knie achtete. Wie weit würden sie kommen?
Sie blickte über die Büsche zur Scheune. Das hohe, spitze Dach und die massige Fassade ließen die Fensterreihe klein erscheinen. Licht drang durch die Fenster in die fast mondlose Nacht und erhellte die Veranda von der Küche bis zur rechten Ecke des alten Gebäudes. Die hellen Vorhänge wirkten unberührt, bis auf den Mittelteil, wo die Scheibe zertrümmert worden war. Jodie konnte den umgeworfenen Tisch, ein paar umgekippte Stühle, das Sofa und bis zur Ecke der Kochinsel sehen. Travis stand im Raum. Eine Hälfte seines Gesichtes war blutverschmiert. Er schrie und fuchtelte mit den Armen. Von irgendwo außer Sichtweite schrie Kane zurück. Sie konnte nicht verstehen, was sie sagten, registrierte nur den wütenden Tonfall. Ein
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