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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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gerichtet war, wurden Gaze und Spitzen mitsamt all den leichten durchsichtigen Stoffen so vollständig eins mit den Schultern und den Trikots, daß all dieses rosige Weiß lebte. Man wußte nicht mehr, ob die Damen die Lebenswahrheit der Plastik nicht so weit getrieben hatten, sich völlig nackt zu zeigen.
    Das alles war nur die Apotheose144, das Drama selbst spielte sich im Vordergrund ab. Links streckte Renée, die Nymphe Echo, beide Arme flehend nach der großen Göttin aus, den Kopf halb Narziß zugewandt, als wolle sie ihn bewegen, Venus anzuschauen, deren bloßer Anblick heftige Leidenschaft entfacht; doch Narziß, zur Rechten, machte eine Gebärde der Abwehr, bedeckte sich die Augen mit der Hand und war von eisiger Kälte. Die Kostüme dieser beiden hatten Herrn Hupel de la Noues Phantasie eine ungeheure Anstrengung gekostet. Narziß, ein Halbgott, der die Wälder durchstreift, trug ein ideales Jägerkostüm: ein grünliches Trikot, eine kurze anliegende Weste und einen Eichenzweig im Haar. Das Gewand der Nymphe Echo war schon für sich allein eine ganze Allegorie; es hatte etwas von den hohen Bäumen und den großen Bergen, den widerhallenden Stätten, wo die Stimmen der Erde und der Luft einander antworten; es war Fels in der weißen Seide des Rocks, Gebüsch durch das Blattwerk des Gürtels, klarer Himmel durch die blaue Gazewolke des Mieders. Und die einzelnen Gruppen verharrten in statuenhafter Reglosigkeit, die Sinnlichkeit des Olymps blühte auf im blendenden Licht des breiten Scheinwerferstrahls, während die Musik ihre durchdringende, mit tiefen Seufzern vermischte Liebesklage fortsetzte.
    Man war allgemein der Ansicht, daß Maxime wundervoll gebaut sei. In einer abwehrenden Gebärde brachte er seine linke Hüfte glücklich zur Geltung, was von vielen bemerkt wurde. Das höchste Lob aller aber galt Renées Gesichtsausdruck. Nach einem Ausspruch des Herrn Hupel de la Noue war sie »der verkörperte Schmerz des ungestillten Verlangens«. Sie hatte ein schneidendes Lächeln, das gern demütig gewesen wäre; sie belauerte ihre Beute wie eine ausgehungerte Wölfin, die ihre Zähne nur halb verbirgt. Das erste Bild gelang gut, nur die alberne Adeline bewegte sich und konnte bloß mit Mühe eine unwiderstehliche Lachlust bezwingen. Dann schlossen sich die Vorhänge, das Klavier verstummte.
    Man klatschte diskret Beifall, und die Unterhaltung kam wieder in Gang. Ein starker Hauch von Liebessehnsucht, von verhaltenem Begehren war von all der Nacktheit auf der Bühne in den Saal geströmt: die Frauen lehnten schmachtender in ihren Sesseln, und die Männer sprachen leise miteinander und lächelten dabei. Etwas wie Alkovengeflüster, das halbe Schweigen kameradschaftlichen Einverständnisses, wollüstige Sehnsucht, die sich nur durch ein leises Beben der Lippen verriet, herrschten im Salon, und in den stummen Blicken, die einander bei dem allgemeinen, vom guten Ton gebändigten Entzücken trafen, lag die brutale Kühnheit einer durch einen raschen Blick angebotenen und hingenommenen Liebe.
    In endlosen Gesprächen wurden die Reize der Damen gewertet. Ihre Kostüme gewannen dabei eine beinahe ebenso große Wichtigkeit wie ihre Schultern. Als Mignon und Charrier Herrn Hupel de la Noues Ansicht erfragen wollten, waren sie höchst überrascht, ihn nicht mehr neben sich zu finden; er war bereits wieder hinter der Bühne verschwunden.
    »Ich hatte Ihnen doch schon erzählt, mein schönes Kind«, sagte Frau Sidonie, eine durch das erste lebende Bild unterbrochene Unterhaltung wieder aufnehmend, »daß ich einen Brief aus London bekommen habe, wegen der bewußten drei Milliarden, Sie erinnern sich doch? … Der, den ich mit den Nachforschungen betraut habe, schreibt mir, er glaube, die Empfangsbestätigung des Bankiers gefunden zu haben. England hätte also gezahlt … Ich bin seit heute morgen ganz krank davon.«
    Sie war in der Tat noch gelber als gewöhnlich, wie sie so in ihrem mit Sternen besäten Zauberinnenkostüm dastand. Da ihr Frau Michelin nicht zuhörte, wurde ihre Stimme noch leiser, und sie murmelte, England könne eigentlich nicht gezahlt haben, und sie sei entschlossen, selber nach London zu fahren.
    »Das Kostüm von Narziß war doch wirklich hübsch, finden Sie nicht auch?« fragte Louise Frau Michelin.
    Diese lächelte. Sie sah gerade nach dem Baron Gouraud hin, der in seinem Sessel jetzt wieder ganz munter wirkte. Als Frau Sidonie merkte, wohin Frau Michelins Augen gingen, neigte sie sich zu ihr und

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