Die Beute - 2
ein wenig zur Seite und lächelten.
Bei Herrn Hupel de la Noue hingegen hatte die Musik die Heiterkeit plötzlich vergehen lassen. Mit ängstlicher Miene betrachtete er die roten Samtvorhänge; er überlegte, daß er Frau d’Espanet genauso ihren Platz hätte anweisen müssen wie allen anderen.
Sanft glitten die Vorhänge auseinander, gedämpft spielte das Klavier aufs neue den sinnlichen Walzer. Ein Murmeln lief jetzt durch den Saal. Die Damen beugten sich vor, die Herren reckten die Hälse, und Bewunderung machte sich hier durch ein allzu lautes Wort, dort durch einen unbewußten Seufzer oder ein ersticktes Lachen Luft. Das dauerte fünf lange Minuten, unter dem strahlenden Licht der drei Kronleuchter. Herr Hupel de la Noue, wieder beruhigt, lächelte seinem Werk beseligt zu. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, den in seiner Nähe Stehenden zu wiederholen, was er schon seit einem Monat immerzu gesagt hatte: »Ich wollte es ursprünglich in Versen schreiben … Aber, nicht wahr, so hat es doch weit edlere Linien …«
Und während der Walzer in endlosem Wiegen immer von neuem erklang, gab der Präfekt Erklärungen. Mignon und Charrier waren dicht herangetreten und lauschten ihm aufmerksam.
»Die Handlung ist Ihnen doch bekannt? Der schöne Narziß, Sohn des Flusses Kephissos und der Nymphe Liriope, mißachtet die Liebe der Nymphe Echo … Echo gehört zum Gefolge der Juno137 und unterhielt sie mit ihrem Geplauder, während Jupiter138 die Welt durchschweifte … Echo, die, wie Sie wissen, die Tochter der Luft und der Erde war …«
Und er verging fast vor Entzücken über die Poesie der Fabel. Dann fuhr er in vertraulicherem Ton fort: »Ich glaubte nun, meiner Phantasie freien Lauf lassen zu dürfen … Die Nymphe Echo führt den schönen Narziß zu Venus139 in eine Meeresgrotte, damit ihn die Göttin mit ihren Gluten entflamme. Doch die Göttin erweist sich als machtlos, und der Jüngling zeigt durch seine Haltung, daß er ungerührt bleibt.«
Die Erklärung war nicht überflüssig, denn wenige der im Saal anwesenden Zuschauer verstanden den genauen Sinn der Bilder. Als der Präfekt die Personen halblaut genannt hatte, nahm die Bewunderung noch zu. Mignon und Charrier aber standen noch mit weit aufgerissenen Augen da; sie hatten nichts begriffen.
Auf der Estrade wölbte sich zwischen den roten Samtvorhängen eine Grotte. Die Dekoration bestand aus Seide, die durch große, gebrochene Falten die Unebenheiten von Felsen nachbildete und mit allerlei Muschelwerk, Fischen und großen Meerespflanzen bemalt war. Der holprige, hügelartig ansteigende Boden war mit der gleichen Seide überzogen und vom Dekorateur mit einem feinen Sand aus Perlen und Silberpailletten bestreut. Es war wirklich eine Wohnung für eine Göttin. Hier, auf dem Gipfel des Hügels, stand hochaufgerichtet Frau de Lauwerens als Venus; über den etwas üppigen Formen trug sie ihr rosa Trikot mit der Würde einer Fürstin des Olymps; sie hatte ihre Rolle als Herrscherin der Liebe gut erfaßt und machte große, ernste, verzehrende Augen. Hinter ihr lieh die kleine Frau Daste, von der nichts zu sehen war als ihr schelmisches Köpfchen, ihre Flügel und ihr Köcher, dem liebenswürdigen Cupido140 ihr Lächeln. Auf der einen Hügelseite standen, eng umschlungen wie in der Gruppe von Pradier141, die drei Grazien142 – die Damen de Guende, Teissière und de Meinhold –, ganz in Musselin, und lächelten einander zu. Auf der anderen Seite brachten die Marquise d’Espanet und Frau Haffner, in eine gemeinsame Spitzenwoge gehüllt, dicht aneinandergeschmiegt, so daß ihre herabhängenden Haare ineinanderflossen, eine gewagte Note in das Bild, eine Erinnerung an Lesbos143, die Herr Hupel de la Noue übrigens nur den Herren mit noch leiserer Stimme erklärte, wobei er sagte, er habe hierdurch die Macht der Venus zeigen wollen. Zu Füßen des Hügels stellte die Gräfin Vanska die Wollust dar; in einem äußersten, letzten Krampf gekrümmt lag sie da, die Augen halbgeöffnet, mit ersterbendem Blick, wie gänzlich erschöpft; sie hatte ihr schwarzes Haar gelöst, und ihre fahlrot geflammte Tunika ließ hier und da ihre glühende, dunkelbraune Haut sehen. Die ganze Farbenskala der Kostüme, vom schneeigen Weiß des Venusschleiers bis zum tief en Rot der Wollust, ging sanft ineinander über und verschmolz zu einem rosigen Fleischton. Und im Licht des Scheinwerfers, das geschickt durch eines der auf den Garten hinausgehenden Fenster auf die Bühne
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