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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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zwei Millionen fünfhunderttausend Francs bewilligen wollte. Saccard war auf diese Schlappe vorbereitet; er lehnte das Angebot ab und ließ die Akten der Sachverständigenkommission vorlegen, der gerade er selber sowie Herr de Mareuil angehörten, ein Zufall, dem er wohl etwas nachgeholfen hatte. Und so kam es, daß er mit vier anderen Kollegen mit der Schätzung seines eigenen Grundstücks beauftragt worden war.
    Herr de Mareuil begleitete ihn. Von den drei anderen Kommissionsmitgliedern war einer ein Arzt, der seine Zigarre rauchte, ohne sich im geringsten um die Schuttmassen zu kümmern, über die sie steigen mußten, und zwei waren Industrielle, deren einer, ein Fabrikant chirurgischer Instrumente, einstmals als Scherenschleifer durch die Straßen gezogen war.
    Der Weg, den die Herren jetzt einschlugen, war fürchterlich. Es hatte die ganze Nacht über geregnet. Der aufgeweichte Boden zwischen den eingestürzten Häusern auf dieser in zerwühlter Erde abgesteckten Straße, wo die Karren zum Abfahren des Schutts bis an die Radnabe einsanken, war zu einem Strom von Kot geworden. Zu beiden Seiten standen noch geborstene, von der Spitzhacke übriggelassene Mauerstücke; hohe, halbabgerissene Gebäude zeigten ihre bleichen Eingeweide, taten ihre hohlen Treppenhäuser ins Leere auf, ihre klaffenden Zimmerreihen, die gewissermaßen in der Luft hingen und zerbrochenen Schubladen irgendeines großen, häßlichen Möbelstückes glichen. Nichts Jammervolleres konnte es geben als die Tapeten dieser Zimmer, gelbe oder blaue Vierecke, die in Fetzen herunterhingen und bis zu einer Höhe von fünf oder sechs Stockwerken, bis unter das Dach, armselige kleine Räume erkennen ließen, enge Löcher, worin sich vielleicht ein ganzes Menschenleben abgespielt hatte. An den nackten Mauern stiegen dicht nebeneinander mit jähen Krümmungen in schauerlicher Schwärze die Rußstreifen der Kamine empor. Eine vergessene Windfahne knarrte an einem Dachrand, halb losgelöste Regenrinnen hingen wie alter Plunder herab. Und der Durchbruch zog sich immer weiter durch diese Ruinen, wie eine von einer Kanone geschlagene Bresche; die noch kaum angedeutete, von Trümmern besäte Straße erstreckte sich endlos, mit Erdhaufen und tiefen Wasserpfützen, unter dem grauen Himmel, dem unheimlich bleichen Gipsstaub, der auf sie herabregnete, und war von den schwarzen Streifen der Kamine wie von Trauerrändern eingefaßt.
    Die Herren in ihren blankgeputzten Stiefeln, ihren Überziehern und Zylinderhüten nahmen sich seltsam aus in dieser schmutziggelben Schlammlandschaft, wo es sonst nur bleiche Arbeiter gab, bis an den Rücken mit Kot bespritzte Pferde und Karren, deren Holz unter einer Staubkruste verschwand. Im Gänsemarsch folgten die Herren einander, sprangen von Stein zu Stein, wichen den Tümpeln voll flüssigem Schlamm aus, versanken hin und wieder bis an die Knöchel und schlenkerten dann fluchend mit den Füßen.
    Saccard hatte den Weg durch die Rue de Charonne vorgeschlagen, was ihnen diesen Gang über den grundlosen Boden erspart hätte; unglücklicherweise aber mußten sie mehrere Liegenschaften auf der langen BoulevardStrecke besichtigen, und da auch die Neugier sie trieb, hatten sie sich entschlossen, die Arbeiten aus nächster Nähe zu betrachten. Übrigens interessierte sie das sehr. Manchmal hielten sie sich mühsam auf einem Mauerbrocken, der in eine Wagenspur gerollt war, im Gleichgewicht, reckten die Nase in die Luft, riefen sich gegenseitig herbei, um einander einen klaffenden Fußboden zu zeigen, einen in die Luft ragenden Schornstein, einen Balken, der auf das Nachbardach gestürzt war. Dieser verwüstete Stadtteil am Ausgang der Rue du Temple kam ihnen ganz wundersam vor.
    »Das ist wirklich eigenartig«, sagte Herr de Mareuil. »Sehen Sie sich nur einmal diese Küche da oben an, Saccard, da hängt noch eine alte Pfanne über dem Herd … Ich sehe sie ganz genau.«
    Der Arzt aber hatte sich, die Zigarre im Mund, vor einem abgerissenen Haus aufgepflanzt, von dem nur noch das Erdgeschoß stand, dessen Räume ganz mit dem Schutt der übrigen Stockwerke angefüllt waren. Eine einzige Mauer ragte aus dem Trümmerhaufen heraus; um sie auf einen Anhieb umzulegen, hatte man ein Seil herumgeschlungen, an dem etwa dreißig Arbeiter zogen.
    »So werden sie nicht damit fertig«, murmelte der Arzt. »Sie ziehen zu sehr nach links.«
    Die vier anderen waren zurückgekommen, um die Mauer stürzen zu sehen, und alle fünf warteten mit gespannten

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