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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Blicken, angehaltenem Atem und einem angenehmen Schauder auf den Einsturz. Die Arbeiter ließen das Seil locker, ruckten dann plötzlich heftig wieder an und riefen dabei: »Hoh! Ruck!«
    »So werden sie nicht damit fertig«, wiederholte der Arzt.
    Doch nach einigen Sekunden angstvoller Erwartung schrie einer der beiden Industriellen voll Freude: »Sie bewegt sich! Sie bewegt sich!«
    Und als die Mauer endlich nachgab und mit fürchterlichem Krachen in einer Wolke von Staub zusammenbrach, sahen die Herren einander lächelnd an. Sie waren begeistert. Ihre Überzieher bedeckten sich mit feinem Staub, der ihnen Schultern und Arme weiß färbte.
    Vorsichtig nahmen sie nun ihren Weg zwischen den Pfützen hindurch wieder auf und begannen von den Arbeitern zu reden. Sie ließen nicht viel Gutes an ihnen. Es waren alles Nichtstuer, Verschwender und noch dazu Dickköpfe, die lediglich ihre Brotherren zugrunde richten wollten. Herr de Mareuil, der seit einer Weile mit Schaudern beobachtete, wie zwei arme Teufel auf der Ecke eines Daches hockten und eine Mauer mit der Spitzhacke bearbeiteten, äußerte die Ansicht, daß diese Leute immerhin einen bewundernswerten Mut besäßen. Die übrigen blieben wieder stehen und sahen zu den mühsam ihr Gleichgewicht haltenden Arbeitern hinauf, die vornübergebeugt aus Leibeskräften hackten; sie stießen die Steine mit dem Fuß herunter und sahen ihnen ruhig nach, wie sie da unten zerbarsten; hätte ihre Hacke ein einziges Mal fehlgeschlagen, so würde allein der Schwung ihres Armes genügt haben, um sie in die Tiefe zu reißen.
    »Ach was, das ist alles Gewohnheitssache«, sagte der Arzt und führte wieder seine Zigarre zum Mund. »Das sind doch bloß Tiere.«
    Nun waren sie zu einem der Gebäude gelangt, die sie besichtigen sollten. Sie pfuschten ihre Gutachten in einer Viertelstunde zusammen und schlenderten weiter. Mit der Zeit empfanden sie nicht mehr solchen Abscheu vor dem Schmutz; sie gingen mitten durch die Lachen; die Hoffnung, ihr Schuhwerk zu retten, hatten sie aufgegeben. Als sie über die Rue Ménilmontant hinausgekommen waren, wurde einer der Industriellen, der frühere Scherenschleifer, unruhig. Er betrachtete aufmerksam die Ruinen rings um sich her, konnte sich in dieser Gegend nicht mehr zurechtfinden. Er sagte, daß er nach seiner Ankunft in Paris vor mehr als dreißig Jahren hier gewohnt habe und daß es ihm große Freude machen würde, wenn er das Haus wiederfände. Er spähte immer noch suchend umher, als ihn der Anblick eines Hauses, das die Spitzhacke der Zerstörer schon in zwei Stücke gespalten hatte, wie angewurzelt mitten auf der Straße stehenbleiben ließ. Er sah sich genau die Tür und die Fenster an. Dann deutete er mit dem Finger auf eine Stelle ganz oben in der Ruine.
    »Das ist es!« rief er laut. »Ich erkenne es wieder!«
    »Was denn?« fragte der Arzt.
    »Zum Teufel, mein Zimmer! Da ist es!«
    Es war ein kleines Zimmer im fünften Stock, dessen Fenster wohl früher auf einen Hof hinausgegangen war. Ein Loch in der Mauer legte es völlig bloß, es war an einer Seite schon teilweise abgebrochen, und von seiner mit großen gelben Ranken gemusterten Tapete flatterte ein breiter Fetzen im Wind. Zur Linken war noch ein mit blauem Papier ausgekleideter Wandschrank sichtbar. Und daneben steckte ein Stück Rohr im Schornsteinloch.
    Rührung überkam den ehemaligen Handwerker.
    »Fünf Jahre habe ich dort verbracht«, sagte er leise. »Es ging mir nicht gerade glänzend damals, aber wenn schon, ich war jung … Doch oben sehen Sie meinen Schrank; darin habe ich Sou für Sou dreihundert Francs zusammengespart. Und das Loch für den Ofen … ich erinnere mich noch genau an den Tag, als ich es in die Wand gebrochen habe. Das Zimmer hatte keinen Kamin, es war eine Bärenkälte darin, um so mehr, als wir nicht oft zu zweit waren.«
    »Nun«, unterbrach ihn scherzend der Arzt »niemand verlangt Geständnisse von Ihnen. Sie werden es ebenso getrieben haben wie alle andern.«
    »Das stimmt schon«, fuhr der würdige Mann unbefangen fort.
    »Ich erinnere mich noch an eine Plätterin aus dem Haus gegenüber … Sehen Sie, das Bett stand rechts, am Fenster … Ach, mein armes Zimmer, wie haben sie es zugerichtet!«
    Er war wirklich ganz traurig.
    »Hören Sie mal«, sagte Saccard, »es ist wahrhaftig nicht schlimm, wenn man diese alten Buden da abreißt. Man wird statt ihrer schöne Häuser aus Haustein bauen … Möchten Sie heute in so einem Loch hausen? Dabei könnten

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