Die Beute - 2
Mussy mit niedergeschlagenen Augen dasaß. In scheinbarer Geistesabwesenheit vermied sie es, sich umzusehen; aber obwohl sie sich fest gegen die Rücklehne ihres Stuhls preßte, wobei die Seide ihres Kleides leise knisterte, überlief doch bei jedem neuen Heiterkeitsausbruch aus der Ecke, wo Maxime und Louise noch immer laut miteinander scherzten, ohne sich um das Abflauen der allgemeinen Unterhaltung zu kümmern, ein kaum wahrnehmbares Zittern ihre Schultern.
Und hinter ihr, halb im Schatten, mit seiner hohen Gestalt die in Unordnung geratene Tafel und die benommenen Gäste überragend, stand Baptiste, bleich und mit ernster Miene, in der hochmütigen Haltung eines Bedienten, der seine Herren überreichlich gesättigt hat. In der von Trunkenheit geschwängerten Atmosphäre, unter dem grellen Licht des Kronleuchters, der alles in einen gelblichen Schein tauchte, war er allein makellos geblieben mit seiner silbernen Halskette, seinen kalten Augen, denen der Anblick der nackten Frauenschultern kein Aufflammen entlockte, seinem Eunuchengesicht, mit dem er die Pariser der Dekadenz bediente und dabei seine Würde bewahrte.
Endlich stand Renée mit einer energischen Bewegung auf. Alle folgten ihrem Beispiel. Man ging in den Salon, wo der Kaffee serviert wurde.
Der große Salon des Hauses war ein riesiger, langgestreckter Raum, eine Art Galerie, die von einem Eckpavillon bis zum andern reichte und so die ganze Fassade nach der Gartenseite hin einnahm. Eine breite Glastür führte zur Freitreppe. Diese Galerie funkelte von Gold. An der leicht gewölbten Decke umschlangen kapriziöse Schnörkel große vergoldete Medaillons, die wie Schilde blitzten. Rosetten und schimmernde Girlanden umsäumten das Gewölbe; wie flüssiges Metall lief goldenes Netzwerk über die Wände und umrahmte die mit roter Seide bespannten Füllungen; Rosengewinde mit Büscheln vollentfalteter Blüten fielen längs der Spiegel herab. Auf dem Parkett prangte ein Aubussonteppich30 mit seinen Purpurblumen. Die mit rotem Seidendamast bezogenen Möbel, die Portieren und Vorhänge vom gleichen Stoff, die außergewöhnlich große RokokoStutzuhr auf dem Kamin, die Chinavasen auf ihren Konsolen, die Füße der beiden langen, mit Florentiner Mosaiken eingelegten Tische, ja selbst die Blumenständer in den Fensternischen troffen von Gold, strotzten von Gold. In den vier Ecken standen vier hohe Lampen, die mit goldbronzierten, in anmutiger Symmetrie angebrachten Ketten auf roten Marmorsockeln befestigt waren, und an der Decke hingen drei Kronleuchter, von deren Kristallprismen blaue und rosige Lichttropfen rieselten und deren heller Schein das ganze Gold des Saales aufflammen ließ.
Die Herren zogen sich bald ins Rauchzimmer zurück. Herr de Mussy nahm vertraulich den Arm seines Schulkameraden Maxime, mit dem er, obwohl sechs Jahre älter, damals befreundet gewesen war. Er führte ihn auf die Terrasse hinaus. Nachdem sich beide eine Zigarre angezündet hatten, beklagte er sich bitter über Renée.
»Aber sagen Sie mir bloß, was hat sie denn eigentlich? Gestern war ich mit ihr zusammen, da war sie reizend. Und heute behandelt sie mich, als wäre zwischen uns alles aus. Welches Verbrechen habe ich denn begangen? Lieber Maxime, Sie würden mir einen großen Dienst erweisen, wenn Sie sie fragen wollten, wenn Sie ihr sagen wollten, wie web sie mir tut.«
»Alles andere – nur das nicht!« erwiderte Maxime lachend.
»Renée hat ihre Launen, und mir liegt nichts daran, die auszubaden. Sie müssen schon selber sehen, wie Sie Ihre Angelegenheiten ins reine bringen.«
Langsam blies er den Rauch seiner Havanna aus und fügte dann hinzu:
»Sie muten mir da eine schöne Rolle zu, mein Lieber!«
Aber Herr de Mussy sprach dem jungen Mann von seiner herzlichen Freundschaft für ihn und versicherte ihm, daß er nur auf eine Gelegenheit warte, um ihm seine Zuneigung zu beweisen. Er sei tief unglücklich – er liebe Renée so sehr!
»Gut denn, es soll geschehen«, sagte Maxime endlich. »Ich werde mit ihr reden. Aber versprechen kann ich natürlich gar nichts. Sie wird mir bestimmt eine Abfuhr geben.«
Sie gingen ins Rauchzimmer zurück und ließen sich in große, bequeme Sessel fallen. Hier erzählte Herr de Mussy Maxime eine geschlagene halbe Stunde lang von all seinen Leiden; zum zehnten Male schilderte er ihm, wie er sich in Maximes Stiefmutter verliebt und wie diese ihn ausgezeichnet habe; und Maxime gab ihm, während er seine Zigarre zu Ende rauchte, Ratschläge,
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