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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Angèle ihr unscheinbares, zufriedenes Dasein weiter. Er aber lauerte auf eine Gelegenheit, und sein gutmütiges Lachen wurde härter, je länger diese Gelegenheit auf sich warten ließ.
    Aristide besaß eine Schwester in Paris. Sidonie Rougon hatte einen Anwaltsgehilfen aus Plassans geheiratet, der dann mit ihr einen Südfruchthandel in der Rue SaintHonoré einrichtete. Als ihr Bruder sie dort aufsuchte, war der Gatte verschwunden, der Erlös aus dem Geschäft längst aufgezehrt. Jetzt bewohnte sie in der Rue du FaubourgPoissonnière einen kleinen Zwischenstock von drei Zimmern. Auch den unter ihrer Wohnung im Erdgeschoß gelegenen Laden hatte sie gemietet, einen engen, geheimnisvollen Laden, in dem sie angeblich einen Spitzenhandel betrieb; tatsächlich hingen im Schaufenster, auf vergoldeten Leisten, kleine Stücke Gipür und Valenciennesspitze; aber innen sah der Raum mit seinem glänzenden Getäfel eher nach einem Vorzimmer aus; von Ware keine Spur. Tür und Schaufenster waren mit leichten Gardinen verhangen, die den Laden vor den Blicken von draußen schützten und ihm vollends die verschwiegene und gedämpfte Atmosphäre eines Vorraums verliehen, durch den man in irgendeinen unbekannten Tempel gelangt. Selten nur sah man eine Kundin bei Frau Sidonie eintreten; meistens war sogar der Türknopf entfernt. In der Nachbarschaft verbreitete sie, daß sie zu den reichen Damen gehe und ihnen Spitzen anbiete. Nur die besondere Einrichtung ihrer Behausung, behauptete sie, habe sie bewogen, Laden und Zwischenstock zu mieten, die durch eine Innentreppe miteinander verbunden waren. Tatsächlich war die Spitzenhändlerin immer unterwegs; zehnmal am Tag sah man sie geschäftig aus und eingehen. Übrigens beschränkte sie sich nicht auf den Spitzenverkauf; sie nützte ihre Räume aus, füllte sie mit billiger, wer weiß wo aufgekaufter Ware. Sie hatte zunächst mit Gummiartikeln gehandelt, mit Mänteln, Schuhen, Hosenträgern und so weiter; dann fand man bei ihr der Reihe nach ein neues Öl zur Förderung des Haarwuchses, orthopädische Apparate, eine patentierte automatische Kaffeemaschine, mit deren Vertrieb sie sehr viel Mühe hatte. Zu der Zeit, als ihr Bruder sie aufsuchte, vermietete sie Klaviere, ihre Wohnung war vollgestopft mit diesen Instrumenten; es standen sogar welche in ihrem Schlafzimmer, einem sehr zierlich ausgestatteten Raum, der gar nicht zu dem KramladenDurcheinander der beiden anderen Zimmer paßte. Sie betrieb beide Gewerbe mit vollendeter Methode; die Kunden, die wegen der Waren im Zwischenstock kamen, benutzten einen Torweg, der auf die Rue Papillon hinausführte; man mußte schon in das Geheimnis der kleinen Treppe eingeweiht sein, um den zweierlei Handel der Spitzenverkäuferin zu kennen. Im Zwischenstock hieß sie, nach ihrem Mann, Frau Touche, an der Ladentür aber hatte sie lediglich ihren Vornamen angebracht, so daß man sie allgemein »Frau Sidonie« nannte.
    Frau Sidonie zählte fünfunddreißig Jahre, sie zog sich jedoch so nachlässig an und hatte so wenig Weibliches in ihrem Gebaren, daß man sie für sehr viel älter gehalten hätte. In Wirklichkeit war sie ohne Alter. Sie trug immer dasselbe schwarze, an den Nähten abgeschabte, vom langen Gebrauch zerknitterte und grau gewordene Kleid, das an einen vor den Schranken des Gerichts verschlissenen Advokatentalar erinnerte. Einen schwarzen Hut, der ihr Haar verbarg, tief in die Stirn gedrückt, trottete sie in groben Schuhen durch die Straßen, am Arm einen kleinen Korb, dessen Henkel mit Bindfaden geflickt waren. Dieser Korb, von dem sie sich niemals trennte, barg eine ganze Welt. Wenn sie den Deckel lüftete, kamen Warenmuster aller Art zum Vorschein, Notizbücher, Brieftaschen und vor allem Bündel von Stempelpapieren, deren unleserliche Schrift sie mit einer eigenen Geschicklichkeit entzifferte. Sie hatte etwas vom Makler und Gerichtsvollzieher an sich. Ständig lebte sie in Wechselprotesten, Vorladungen und Mahnungen; hatte sie für zehn Francs Pomade oder Spitzen verkauft, so erschlich sie sich das Vertrauen ihrer Kundin, machte sich zu ihrem Sachwalter und übernahm für sie alle Wege zu den Anwälten, Verteidigern und Richtern. So trug sie wochenlang Aktenstücke auf dem Grund ihres Korbes umher, gab sich eine unsägliche Mühe und lief in ihrem kleinen, gleichmäßigen Trab von einem Ende von Paris zum anderen, ohne sich jemals einen Wagen zu leisten. Es wäre schwer zu sagen gewesen, welchen Nutzen sie aus diesem Gewerbe zog; vor

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