Die Beute - 2
gänzlich erobert. Mit unwillkürlicher Freude sah sie, wie das Drama, unter dem sie seit einem Monat so schwer litt, unter den Händen dieses geschickten Mannes in ein fast heiteres Schauspiel auslief. Es wurde beschlossen, am folgenden Tage beim Notar zusammenzutreffen.
Kaum war Frau Aubertot fort, als sich Saccard auch schon ins Hôtel de Ville begab und den ganzen Tag damit zubrachte, gewisse, ihm wohlbekannte Schriftstücke zu durchstöbern. Beim Notar machte er eine Schwierigkeit geltend: er meinte, daß für Renée viele Scherereien zu befürchten seien, weil ihre Mitgift lediglich aus Liegenschaften bestehe, und deshalb halte er es für klug, wenigstens das Haus in der Rue de la Pépinière zu verkaufen und ihr dafür eine Staatsschuldverschreibung zu sichern. Frau Aubertot wollte Herrn Béraud Du Châtel, der sich immer noch in seinen Räumen vergrub, darüber Bericht erstatten. Saccard war wieder bis zum Abend unterwegs. Er ging in die Rue de la Pépinière, lief durch Paris mit der nachdenklichen Miene eines Generals am Vorabend einer Entscheidungsschlacht. Tags darauf sagte Frau Aubertot, daß Herr Béraud Du Châtel alles ihr überlasse. Der Kontrakt wurde auf Grund der bereits vereinbarten Bedingungen ausgefertigt. Saccard brachte zweihunderttausend Francs mit in die Ehe, Renée erhielt als Mitgift den Grundbesitz in der Sologne und das Haus in der Rue de la Pépinière, zu dessen Verkauf sie sich verpflichtete; außerdem blieb sie im Falle des Ablebens des ersten Kindes alleinige Eigentümerin der Grundstücke in Charonne, die sie von der Tante erhielt. Der Vertrag lautete auf Gütertrennung, die jedem der Ehegatten die uneingeschränkte Verwaltung seines Vermögens vorbehält. Tante Elisabeth, die dem Notar aufmerksam zugehört hatte, schien mit dieser Regelung zufrieden, da sie offenbar die Unabhängigkeit der Nichte verbürgte, indem sie deren Vermögen gegen jeden Zugriff sicherte. Saccard lächelte kaum merklich, als er sah, wie die gute Dame jeder Klausel mit einem Kopfnicken zustimmte. Die Eheschließung wurde auf den nächstmöglichen Termin anberaumt.
Als alles geordnet war, begab sich Saccard zu seinem Bruder Eugène und kündigte ihm feierlich seine Vermählung mit Fräulein Renée Béraud Du Châtel an. Dieses Meisterstück versetzte den Abgeordneten in Erstaunen.
Als er sich seine Überraschung anmerken ließ, sagte der Beamte: »Du hattest mir geraten, mich umzutun, ich habe mich umgetan und habe gefunden!«
Anfangs verwirrt, ahnte Eugène bald die Wahrheit. Und im liebenswürdigsten Ton kam: »Na also, du bist ein geschickter Bursche! Du kommst wohl, mich zum Trauzeugen zu bitten? Du darfst auf mich rechnen … Wenn nötig, bringe ich die ganze Rechte des Corps législatif mit; das würde die Aufmerksamkeit gewaltig auf dich lenken …« Dann etwas leiser, weil er schon die Tür geöffnet hatte: »Sag mal … ich möchte mich gerade jetzt nicht exponieren, wir haben Mühe, ein neues Gesetz durchzubringen … Ist die Schwangerschaft wenigstens nicht allzu weit vorgeschritten?«
Saccard warf ihm einen so bösen Blick zu, daß sich Eugène beim Schließen der Tür sagte:
»Dieser Scherz könnte mich teuer zu stehen kommen, wäre ich nicht ein Rougon.«
Die Trauung fand in der Kirche SaintLouisen l’Ile statt. Saccard und Renée sahen einander erst am Vorabend des großen Tages, bei Einbruch der Dunkelheit, in einem im Erdgeschoß gelegenen Saal des Béraudschen Palais. Sie musterten einander mit neugierigen Blicken. Seit über ihre Heirat verhandelt wurde, hatte Renée ihren Leichtsinn, ihre Ausgelassenheit wiedergefunden. Sie war ein großes Mädchen von erlesener, aufreizender Schönheit, ungehemmt in ihren Pensionstochterlaunen aufgewachsen. Sie fand Saccard klein, häßlich, aber von einer nervösen und klugen Häßlichkeit, die ihr nicht mißfiel; er hatte übrigens vollendete Umgangsformen. Er seinerseits verzog ein wenig das Gesicht, als er sie sah; offenbar schien sie ihm zu groß, da sie größer war als er. Ohne jede Verlegenheit wechselten sie ein paar Worte. Wäre der Vater dabeigewesen, so hätte er wirklich glauben können, sie wären alte Bekannte und hätten einen gemeinsamen Fehltritt hinter sich. Tante Elisabeth, die bei dieser Begegnung anwesend war, errötete an ihrer Statt.
Am Tage nach der Hochzeit, die durch das Erscheinen Eugène Rougons, der durch eine kürzlich gehaltene Rede Aufsehen erregt hatte, zu einem Ereignis für die Ile SaintLouis geworden war,
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