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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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wurden die beiden Neuvermählten von Herrn Béraud Du Châtel empfangen. Renée brach in Tränen aus, als sie ihren Vater gealtert, noch ernster und trauriger wiedersah. Saccard, den bis jetzt nichts aus der Fassung gebracht hatte, erstarrte in der Kälte und dem Halbdunkel der Wohnung, vor der trauervollen Strenge dieses großen Greises, dessen durchdringender Blick sein Gewissen bis auf den Grund zu durchforschen schien. Langsam küßte der alte Beamte seine Tochter auf die Stirn, wie um ihr zu sagen, daß er ihr verziehen habe; dann wandte er sich zu seinem Schwiegersohn und sagte schlicht: »Mein Herr, wir haben viel gelitten. Ich rechne darauf, daß Sie uns Ihre Verirrungen vergessen lassen werden.«
    Er reichte ihm die Hand. Doch Saccard überlief dennoch ein Schauder. Er sagte sich, daß, wenn Herr Béraud Du Châtel nicht unter dem großen Schmerz über Renées Schande zusammengebrochen wäre, er mit einem einzigen Blick, einer einzigen Handbewegung Frau Sidonies Machenschaften vereitelt haben würde. Sidonie war wohlweislich in den Hintergrund getreten, nachdem sie ihren Bruder mit der Tante Elisabeth in Verbindung gebracht hatte. Sie war nicht einmal zur Hochzeit gekommen. Aristide gab sich gänzlich ungezwungen im Verkehr mit dem alten Herrn, in dessen Blick er Erstaunen darüber bemerkt hatte, als den Verführer seiner Tochter einen kleinen, häßlichen, bereits vierzig Jahre alten Mann vor sich zu sehen. Das junge Paar mußte die ersten Nächte im Palais Béraud zubringen. Christine hatte man schon vor zwei Monaten fortgeschickt, damit das vierzehnjährige Kind nichts von dem Drama ahnte, das sich in dem sonst so klösterlich stillen und friedlichen Haus abspielte. Nach ihrer Rückkehr blieb sie ganz sprachlos vor dem Gatten ihrer Schwester stehen, den auch sie alt und häßlich fand. Einzig Renée schien weder das vorgeschrittene Alter noch das verschlagene Gesicht ihres Mannes sehr zu bemerken. Sie behandelte ihm sowohl ohne Verachtung wie ohne Zärtlichkeit, mit vollkommener Ruhe, unter der nur zuweilen ein Anflug spöttischer Geringschätzung spürbar wurde. Saccard gab sich selbstbewußt, richtete sich häuslich ein und gewann wirklich durch sein Temperament und seine Offenheit nach und nach jedermanns Zuneigung. Als sie das Palais Béraud verließen, um eine prächtige Wohnung in einem neuen Haus in der Rue de Rivoli zu beziehen, hatte Herr Béraud Du Châtel schon kein Staunen mehr in den Augen und die kleine Christine spielte mit dem Schwager wie mit einem Kameraden. Renée ging damals schon im vierten Monat schwanger; ihr Gatte war gerade im Begriff, sie aufs Land zu schicken, um später leichter das Alter des Kindes verheimlichen zu können, als sie, wie Frau Sidonie es vorausgesagt, eine Fehlgeburt hatte. Um ihre Schwangerschaft zu verbergen, die ohnehin unter der Weite ihrer Röcke verschwand, hatte sich Renée so sehr geschnürt, daß sie während mehrerer Wochen das Bett hüten mußte. Saccard war hocherfreut über diesen Ausgang, endlich war das Glück ihm treu: er hatte ein vorzügliches Geschäft gemacht, eine fabelhafte Mitgift bekommen, eine Frau, deren Schönheit ihm in längstens sechs Monaten einen Orden eintragen mußte, und das alles ohne die geringste Belastung. Man hatte ihm für zweihunderttausend Francs seinen Namen abgekauft um eines Fötus‘55 willen, den die eigene Mutter nicht einmal sehen wollte. Von jetzt an dachte er mit Zärtlichkeit an die Grundstücke in Charonne. Vorderhand aber wandte er seine ganze Aufmerksamkeit einer Spekulation zu, welche die Grundlage seines Reichtums werden sollte.
    Trotz der großen Stellung der Familie seiner Frau reichte er nicht sofort seinen Abschied als Straßenbauinspektor ein. Er sprach von Arbeiten, die er noch, zu beenden habe, von der Notwendigkeit, eine neue Beschäftigung zu suchen. In Wirklichkeit wollte er bis zum Schluß auf dem Schlachtfeld bleiben, wo er zum erstenmal seine Karte ausspielte. Hier war er zu Hause, hier konnte er leichter mogeln.
    Der Plan des Straßenbauinspektors war einfach und praktisch. Jetzt, da er mehr Geld in der Hand hatte, als er sich jemals als Anfangskapital für seine Unternehmungen zu erträumen gewagt, gedachte er seine Vorhaben im großen zu verwirklichen. Er kannte sein Paris in und auswendig; er wußte, daß der Goldregen, der auf das Großstadtpflaster prasselte, von Tag zu Tag dichter werden würde. Geschickte Leute brauchten nur ihre Taschen offenzuhalten. Er hatte sich den Geschickten

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