Die Beute - 2
zugesellt, verstand er es doch, in den Büros des Hôtel de Ville die Zukunft zu erfahren. Von seiner Amtstätigkeit her war ihm bekannt, was es beim Kauf und Verkauf von Liegenschaften zu ergaunern gab. Er war über alle klassischen Gaunereien auf dem laufenden: er wußte, wie man für eine Million wiederverkauft, was einen selber fünfhunderttausend Francs gekostet hat; wie man das Recht erkauft, die Kassen des Staates zu plündern, der dazu lächelt und beide Augen zudrückt; und wie man, indem man einen neuen Boulevard über den Bauch eines alten Stadtviertels hinwegführt, unter dem Beifallklatschen sämtlicher Betrogenen mit sechsstöckigen Häusern jongliert. Und was ihn in diesen noch wirren Zeiten, da sich der Krebsschaden der Spekulation im Entwicklungsstadium befand, zu einem furchtbaren Spieler machte, war, daß er hinsichtlich der Mauerstein und Gipszukunft, die Paris vorbehalten war, viel weiter sah als selbst seine Vorgesetzten. Er hatte so viel herumgestöbert, so viele Einzeltatsachen zusammengetragen, daß er imstande gewesen wäre, das Bild, das die neuen Stadtviertel 1870 bieten würden, genau vorauszusagen. In manchen Straßen pflegte er bestimmte Häuser mit einem eigentümlichen Blick zu betrachten, wie alte Bekannte, deren künftiges Schicksal, um das nur er wußte, ihn tief ergriff.
Zwei Monate vor Angèles Tod hatte er sie eines Sonntags auf den Montmartre geführt. Die arme Frau aß so gern im Restaurant und war glücklich, wenn er sich nach einem langen Spaziergang mit ihr in irgendeiner Vorstadtwirtschaft zu Tisch setzte. An jenem Sonntag speisten sie ganz oben auf dem Hügel in einem Restaurant, dessen Fenster einen weiten Ausblick über Paris boten, über dieses Meer von Häusern mit bläulichen Dächern, die wie eine wogende Flut den riesigen Horizont erfüllten. Ihr Tisch stand gerade vor einem dieser Fenster. Der Anblick der Dächer von Paris stimmte Saccard heiter. Zum Nachtisch ließ er eine Flasche Burgunder kommen. Er lächelte vor sich hin und war von seltener Höflichkeit. Und immer wieder glitt sein verliebter Blick über dieses lebendige, wimmelnde Meer, aus dem die dunkle Stimme der Menschenmassen zu ihm aufstieg. Es war Herbst; unter einem weiten, blassen Himmel versank die Stadt in ein weiches, zartes Grau, hier und da gefleckt von dunklem Laub, das an breite Seerosenblätter erinnerte, die auf einem Teich schwimmen; die Sonne ging soeben in einer roten Wolke unter, und während sich die Tiefe mit leichten Nebeln füllte, fiel in der Gegend der Madeleine56 und der Tuilerien flimmernder Goldstaub, goldener Tau auf das rechte SeineUfer hinab. Es war wie ein verzauberter Stadtwinkel aus Tausendundeine Nacht, mit Smaragdbäumen, Saphirdächern und Windfahnen aus Rubinen. Und es kam ein Augenblick, da zwischen zwei Wolken ein so blendender Strahl hindurchglitt, daß die Häuser aufflammten und sich aufzulösen schienen wie Goldbarren in einem Schmelztiegel.
»Oh, sieh doch«, sagte Saccard mit einem kindlichen Auflachen, »in Paris regnet es Zwanzigfrancsstücke!«
Auch Angèle begann zu lachen. »Leider sind diese Münzen nicht leicht aufzulesen«, meinte sie. Aber ihr Mann war aufgestanden und hatte sich mit den Ellbogen auf das Fensterbrett gestützt: »Was da unten glänzt, ist die VendômeSäule57, nicht wahr? Und hier, etwas mehr rechts, hast du die Madeleine … Ein schönes Stadtviertel, wo es noch viel zu tun gibt … Oh, jetzt steht alles in Flammen! Siehst du’s? Man könnte meinen, der ganze Stadtteil glühe in der Retorte eines Chemikers.«
Seine Stimme wurde ernst und bewegt. Der Vergleich, auf den er soeben verfallen war, machte ihn anscheinend stutzig. Er hatte Burgunder getrunken, er vergaß sich und fuhr fort, Angèle, die sich neben ihm aus dem Fenster lehnte, mit ausgestrecktem Arm Paris zu zeigen.
»Ja, ja, ich habe es schon lange gesagt, mehr als ein Stadtviertel kommt in den Schmelztiegel, und Gold wird all denen an den Fingern hängen bleiben, die den Kessel schüren und den Brei umrühren. Dies große, ahnungslose Paris! Sieh doch, wie ungeheuer groß es ist und wie friedlich es jetzt einschläft! Wie dumm sie doch sind, diese großen Städte! Paris ahnt nichts von der Armee von Spitzhacken, die eines schönen Morgens über die Stadt herfallen wird, und so manches Palais der Rue d’Anjou würde nicht so in der Abendsonne glänzen, wüßte es, daß es nur noch drei oder vier Jahre zu leben hat.«
Angèle glaubte, ihr Mann scherze. Manchmal gefiel
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