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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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hörte ihm kaum zu. Er wurde allmählich vergnügt, nahm schließlich ihre beiden Hände in die seinen und neckte sie mit dem armen Herrn de Mussy.
    Als sie auf dem Rückweg wieder am Brébant vorbeikamen, sagte sie plötzlich: »Weißt du eigentlich, daß mich Herr de Saffré für heute abend zum Souper eingeladen hat?«
    »Oh, da hättest du schlecht gegessen«, entgegnete er lachend.
    »Saffré hat nicht die geringste kulinarische Phantasie. Er kennt noch immer nichts anderes als Hummermayonnaise.«
    »Nein, nein, er hat von Austern und kaltem Rebhuhn gesprochen … Aber er hat mich geduzt, und das war mir unangenehm …«
    Sie schwieg, sah noch einmal den Boulevard hinunter und fügte nach einer Pause mit verzweifelter Miene hinzu: »Das schlimmste ist, daß ich entsetzlich hungrig bin.«
    »Wie, du bist hungrig?« rief der junge Mann. »Sehr einfach, wir werden zusammen soupieren … Willst du?«
    Er sagte das ganz ruhig, doch sie lehnte zuerst ab, behauptete, Céleste habe sicher zu Hause einen Imbiß für sie vorbereitet. Unterdessen hatte er, da er nicht ins Café Anglais gehen wollte, die Droschke an der Ecke der Rue Le Peletier vor dem Restaurant des Café Riche103 halten lassen; er war sogar schon ausgestiegen, und als seine Stiefmutter noch zögerte, meinte er: »Nun denn, wenn du fürchtest, daß ich dich kompromittiere, brauchst du es nur zu sagen … Dann setze ich mich neben den Kutscher und bringe dich wieder zu deinem Gatten.«
    Sie lächelte, sie stieg aus dem Wagen mit dem behutsamen Tritt eines Vögelchens, das Angst hat, sich die Füßchen naß zu machen. Sie sah strahlend aus. Das Pflaster, das sie unter ihren Füßen spürte, wärmte ihr die Sohlen, ließ ihr einen köstlichen Schauer von Furcht und befriedigter Laune über die Haut rieseln. Sie hatte während der ganzen Wagenfahrt eine unbändige Lust gehabt, hinauszuspringen. Jetzt ging sie verstohlen mit kleinen Schritten darüber hin, als steigere die Angst, hier gesehen zu werden, ihren Genuß. Ihr Ausflug wandte sich entschieden ins Abenteuerliche. Sie bedauerte es gewiß nicht, die unzarte Einladung Herrn de Saffrés ausgeschlagen zu haben. Aber sie wäre doch schrecklich mißvergnügt nach Hause zurückgekehrt, hätte nicht Maxime den glücklichen Einfall gehabt, sie von der verbotenen Frucht kosten zu lassen. Hurtig stieg er die Treppe hinauf, als sei er hier zu Hause. Sie folgte ihm ein wenig atemlos. Ein leichter Geruch nach Seefisch und Wild durchzog das Treppenhaus, und der Läufer, der von Messingstangen auf den Stufen festgehalten wurde, roch nach Staub, was Renées Erregung erhöhte.
    Im Zwischenstock begegneten sie einem würdig aussehenden Kellner, der an die Wand trat, um sie vorbeizulassen.
    »Charles«, sagte Maxime zu ihm, »Sie werden uns bedienen, nicht wahr? Geben Sie uns den weißen Salon.«
    Charles verbeugte sich, ging ein paar Stufen hinan und öffnete die Tür eines Séparées. Das Gas war kleingestellt; Renée hatte den Eindruck, als dringe sie in das Halbdunkel einer verdächtigen, aber reizvollen Stätte ein.
    Ununterbrochenes Wagenrollen tönte durch das weit geöffnete Fenster, und an der Zimmerdecke bewegten sich im Lichtschein des unten gelegenen Cafés eilige Schritte von Vorübergehenden. Doch der Kellner drehte mit einem Daumendruck den Gashahn weiter auf. Die Schatten an der Decke verschwanden, das Zimmer wurde von grellem Licht erfüllt, das voll auf das Gesicht der jungen Frau fiel. Sie hatte ihre Kapuze schon zurückgeschlagen. Die kleinen Löckchen waren von der Wagenfahrt ein wenig zerzaust, aber das blaue Band saß noch tadellos. Befangen gemacht durch die Weise, in der Charles sie betrachtete, fing sie an, hin und her zu gehen. Er hatte eine Art zu blinzeln, die Augen zuzukneifen, um Renée genauer zu sehen, die deutlich besagte: Die kenne ich noch nicht.
    »Womit kann ich dem Herrn dienen?« fragte er laut.
    Maxime wandte sich zu Renée.
    »Das Souper von Herrn de Saffré, nicht wahr?« sagte er.
    »Austern, ein junges Rebhuhn …«
    Und da Charles den jungen Mann lächeln sah, lächelte auch er diskret und fragte leise: »Also das Souper vom Mittwoch, wenn es Ihnen recht ist?«
    »Das Souper von Mittwoch …«, wiederholte Maxime. Dann besann er sich: »Ja, das ist mir gleich, geben Sie uns das Souper von Mittwoch.«
    Als der Kellner gegangen war, nahm Renée ihr Lorgnon und inspizierte neugierig den kleinen Salon. Es war ein viereckiger, in Weiß und Gold gehaltener Raum, zierlich möbliert

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