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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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wie ein Boudoir. Außer Tisch und Stühlen war noch ein niedriges Möbelstück vorhanden, eine Art Anrichte, außerdem ein breiter Diwan, ein wahrhaftes Bett, zwischen dem Kamin und dem Fenster. Eine Stutzuhr und zwei LouisXVI Leuchter104 schmückten den weißen Marmorkamin. Das Bemerkenswerteste des Zimmers aber war der Spiegel, ein schöner breiter und niedriger Spiegel, den die Diamanten gewisser Damen mit allerlei Namen, Daten, verstümmelten Versen, wunderlichen Einfällen und erstaunlichen Geständnissen bekritzelt hatten. Renée glaubte, etwas Anrüchiges entdeckt zu haben, und fand nicht den Mut, ihre Neugier zu befriedigen. Sie betrachtete den Diwan, empfand abermals Verlegenheit und sah dann, um ihre Fassung zu wahren, zur Zimmerdecke mit dem fünfarmigen vergoldeten Messingkronleuchter hinauf. Doch die Befangenheit, die sie verspürte, war voller Reiz. Während sie den Kopf hob, um ernsthaft, das Lorgnon in der Hand, den Kaminaufsatz zu mustern, genoß sie tief das zweideutige Mobiliar, von dem sie sich umgeben fühlte, den hellen, schamlosen Spiegel, dessen durch jenes Gekritzel kaum getrübte Fläche dazu gedient hatte, so viele falsche Haarlocken wieder in Ordnung zu bringen; den Diwan, an dessen Breite sie Anstoß nahm; den Tisch, ja sogar den Teppich, von dem der gleiche Geruch wie auf der Treppe aufstieg, ein unbestimmter, aber durchdringender und fast klösterlicher Staubgeruch.
    Als Renée schließlich doch den Blick nach unten richten mußte, fragte sie Maxime: »Was ist das eigentlich mit dem MittwochSouper?«
    »Nichts«, erwiderte er, »nur eine Wette, die einer meiner Freunde verloren hat.«
    An jedem anderen Ort hätte er ihr ohne Zaudern erzählt, daß er vergangenen Mittwoch hier mit einer Boulevardbekanntschaft soupiert hatte. Doch seit er diesen Raum betreten hatte, behandelte er Renée instinktiv wie eine Frau, deren Gefallen man erregen und deren Eifersucht man behutsam umgehen muß. Übrigens fragte sie auch nicht weiter, sondern trat ans Fenster und lehnte sich hinaus und er stellte sich neben sie. In ihrem Rücken kam und ging Charles, mit leisem Geklirr von Silber und Porzellan.
    Es war noch nicht Mitternacht. Unten auf dem Boulevard lärmte Paris und zog den hitzigen Tag in die Länge, ehe es sich entschloß, zu Bett zu gehen. Die Baumreihen grenzten in undeutlicher Linie die Helligkeit der Bürgersteige von dem dämmrigen Dunkel des Fahrwegs ab, auf dem mit ihren rasch entschwindenden Laternen Wagen dahinrollten. Zu beiden Seiten dieses Schattenbandes flammten nacheinander die Zeitungskioske auf, als hätte man für irgendeine Riesenillumination große, hohe, seltsam bunt bemalte venezianische Lampions in gleichmäßigen Zwischenräumen auf den Boden gestellt. Doch zu dieser Nachtzeit verlor sich ihr gedämpfter Schein im Lichterglanz der benachbarten Schaufenster. Nirgends war ein Jalousie heruntergelassen, die Gehsteige dehnten sich in der Ferne ohne einen Schattenstreifen, unter einem Strahlenregen, der sie mit einem goldenen Geflimmer, mit der warmen, funkelnden Helligkeit vollen Tageslichts erleuchtete. Maxime zeigte Renée das gegenüberliegende Café Anglais, dessen Fenster hell blinkten. Im übrigen behinderten die oberen Zweige der Bäume etwas die Sicht auf die Häuser und den Gehsteig der anderen Straßenseite. Die beiden lehnten sich hinaus und sahen hinunter. Dort herrschte ein ununterbrochenes Kommen und Gehen; Spaziergänger schritten in Gruppen vorbei, Straßenmädchen zu zweit ließen ihre Röcke schleppen, hoben sie von Zeit zu Zeit mit lässigen Bewegungen hoch, lächelten müde und blickten sich um. Gerade unter ihrem Fenster schob das Café Riche seine Tische im Glanz seiner Kronleuchter, deren Schein bis zur Mitte der Fahrbahn reichte, auf den Bürgersteig vor; und besonders in diesem feurigen Lichtkegel sahen Renée und Maxime die blassen Gesichter und das matte Lächeln der Vorübergehenden. Um die kleinen runden Tische saßen Frauen mit Männern zusammen und tranken. Sie trugen auffallende Kleider, hatten die Haare tief im Nacken geknotet, schaukelten sich auf den Stühlen, sprachen mit lauter Stimme, aber man konnte sie wegen des Straßenlärms nicht verstehen. Renée fiel besonders eine auf, die in einem schreiend blauen Kostüm mit weißer Gipürspitze allein an einem Tisch saß; halb zurückgelehnt, trank sie in kleinen Zügen ein Glas Bier, legte dann die Hände auf den Bauch und verharrte so in einer Haltung drückenden, ergebenen Wartens. Die

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