Die Beute - 2
Straßenmädchen verschwanden allmählich in der Menge, und die junge Frau, deren Neugierde sie erregten, folgte ihnen mit dem Blick von einem Ende des Boulevards zum anderen, bis in das ferne, lärmerfüllte Durcheinander der Straße, in deren schwarzem Fußgängergewimmel die Lichter nur noch wie Fünkchen erschienen. Und endlos, in ermüdender Gleichförmigkeit, floß der Menschenstrom dahin, eine seltsam gemischte und doch immer gleiche Welt, inmitten der lebhaften Farben, der schwarzen Schattenlöcher, in dem zauberhaften Wirbel der Tausende tanzender Flammen, die wie eine Flut aus den Läden brachen, die Transparente an den Fenstern und in den Kiosken farbig aufleuchten ließen, als feurige Stäbchen, Buchstaben und Muster an den Häuserfronten entlangliefen, die Dunkelheit mit Sternen besäten und unaufhörlich über den Fahrdamm huschten. Der betäubende Lärm klang schreiend und schnarrend herauf, eintönig wie eine Drehorgelmusik, die eine nicht endende Prozession kleiner mechanischer Puppen begleitet. Einmal meinte Renée, es sei ein Unglück geschehen. Eine Menschenmenge strömte nach links, ein wenig jenseits der Passage de l’Opéra. Doch durch ihr Glas erkannte sie die Omnibushaltestelle; eine große Anzahl Menschen wartete dort auf dem Bürgersteig und stürzte sich auf jeden ankommenden Wagen. Sie hörte die rauhe Stimme des Aufsehers, der die Nummern ausrief, dann tönte wie ein kristallenes Geläut das Klingen des Zählapparates bis zu ihr herüber. Ihr Blick blieb an den Reklameplakaten eines Kiosks hängen, die grell bemalt waren wie Bilderbogen; in einem gelb und grün umrahmten Quadrat grinste ein Teufelskopf mit gesträubten Haaren – die Reklame eines Hutmachers, deren Sinn Renée nicht begriff. Alle fünf Minuten kam mit seinen roten Laternen und gelben Wagen der Omnibus von Batignolles vorbei, bog um die Ecke der Rue Le Peletier und erschütterte das ganze Haus mit seinem Getöse; und Renée sah die Männer auf dem Verdeck, müde Gesichter, die sich hoben und sie und Maxime anschauten mit dem merkwürdigen Blick von Hungrigen, die durch das Schlüsselloch spähen.
»Ach«, sagte sie, »der Parc Monceau schläft jetzt in Frieden.«
Das war das einzige Wort, das von ihren Lippen kam. Sie blieben fast zwanzig Minuten am Fenster und überließen sich schweigend dem Rausch von Lärm und Licht. Als dann der Tisch gedeckt war, nahmen sie Platz, und da sich Renée durch die Anwesenheit des Kellners beengt zu fühlen schien, schickte Maxime ihn hinaus.
»Gehen Sie nur … Ich werde klingeln, wenn wir das Dessert wünschen.«
Sie hatte kleine rote Flecke auf den Wangen, und ihre Augen glänzten; sie sah aus, als wäre sie soeben rasch gelaufen. Vom Fenster hatte sie etwas von dem Lärm und der Belebtheit des Boulevards mitgebracht. Sie erlaubte nicht, daß ihr Begleiter das Fenster schloß.
»Ach was, das ist unser Orchester«, sagte sie, als er über den Lärm klagte. »Findest du diese Musik etwa nicht lustig? Sie paßt ausgezeichnet zu unsern Austern und unserm Rebhuhn.«
Ihre dreißig Jahre verjüngten sich bei diesem Abenteuer. Sie hatte lebhafte Bewegungen, einen Anflug von Fieber, und dieses Séparée, die Zweisamkeit mit einem jungen Mann inmitten des Straßenlärms peitschten sie auf und ließen sie wie ein junges Mädchen erscheinen. Entschlossen machte sie sich über die Austern her. Maxime war nicht hungrig und sah ihr lächelnd zu, während sie gierig aß.
»Alle Wetter«, murmelte er, »du hättest eine gute Soupergefährtin abgegeben.«
Sie hielt inne, ärgerlich über ihr schnelles Essen.
»Du findest, daß ich tüchtig Hunger habe? Was willst du eigentlich? Diese Stunde auf dem einfältigen Ball hat mich vollständig ausgehöhlt … Ach, mein armer Freund, ich bedaure dich, daß du in jener Gesellschaft lebst!«
»Du weißt sehr gut, daß ich dir versprochen habe, Sylvia und Laure d’Aurigny den Laufpaß zu geben, sobald deine Freundinnen mit mir soupieren wollen.«
Sie richtete sich hoch auf.
»Weiß Gott, das glaube ich gern. Du mußt zugeben, daß wir viel amüsanter sind als jene Damen. Wenn eine von uns einen Liebhaber so langweilen würde, wie deine Sylvia und deine Laure d’Aurigny euch langweilen müssen, würde die arme kleine Frau ihren Liebhaber keine acht Tage behalten … Du willst ja nie auf mich hören. Versuche es doch einmal.«
Um nicht den Kellner hereinrufen zu müssen, stand Maxime auf, trug die Austernschalen ab und brachte das Rebhuhn von der
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