Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
Anrichte. Der Tisch war mit dem Luxus der großen Restaurants gedeckt: auf dem Damasttuch lag es wie ein Hauch köstlicher Schlemmerei, und Renée ließ ihre feinen Hände mit einem leisen Freudenschauer von Gabel zu Messer, von Teller zu Glas wandern. Sie, die sonst kaum einige Tropfen Rotwein in ihr Wasser goß, trank unverdünnten Weißwein. Während Maxime sie stehend, die Serviette über dem Arm, mit komischem Eifer bediente, nahm er die Unterhaltung wieder auf.
    »Was kann dir Herr de Saffré nur gesagt haben, daß du dermaßen zornig wurdest? Hat er dich vielleicht häßlich gefunden?«
    »Ach«, erwiderte sie, »der ist ein übler Mensch! Niemals hätte ich geglaubt, daß ein Herr, der sich bei mir zu Hause so vornehm, so artig benimmt, eine derartige Sprache führen könnte. Doch ich verzeihe ihm. Die Frauen haben mich so aufgebracht. Man hätte sie für Marktweiber halten können. Eine hat darüber gejammert, daß sie einen Furunkel an der Hüfte habe, und es hätte nicht viel gefehlt, so hätte sie den Rock hochgehoben, um allen Leuten ihr Geschwür zu zeigen.«
    Maxime lachte schallend.
    »Nein, wirklich, ich begreife euch nicht«, fuhr sie, sich immer mehr ereifernd, fort, »sie sind ekelhaft und dumm … Und dabei habe ich mir die wunderbarsten Dinge vorgestellt, wenn ich dich zu deiner Sylvia gehen sah, antike Festlichkeiten, wie man sie abgebildet sieht, mit rosenbekränzten Frauen, goldenen Schalen, seltenen Genüssen … Ach ja! Du hast mir ein unsauberes Ankleidezimmer gezeigt und Frauen, die wie die Fuhrleute fluchen. Da lohnt es sich wirklich nicht, zu sündigen.«
    Er wollte widersprechen, doch sie gebot ihm Schweigen. Während sie mit spitzen Fingern ein Rebhuhnknöchelchen hochhielt und es zierlich abnagte, fügte sie etwas leiser hinzu:
    »Die Sünde müßte schon etwas Auserlesenes sein, mein Lieber … Wenn ich, die ich eine anständige Frau bin, aus Langeweile die Sünde begehe, das Unmögliche zu erträumen, erfinde ich ganz gewiß sehr viel hübschere Dinge als sämtliche Blanche Mullers.«
    Und mit ernster Miene schloß sie voll kindlichem Zynismus mit dem tiefsinnigen Ausspruch: »Das ist eben Sache der Erziehung, verstehst du?«
    Gelassen legte sie den kleinen Knochen auf ihren Teller zurück. Das Rollen der Wagen dauerte fort, ohne daß irgendein Geräusch deutlicher hervortrat. Sie mußte lauter sprechen, um sich verständlich zu machen, und das Rot ihrer Wangen vertiefte sich. Auf der Anrichte standen noch Trüffeln, ein süßes Zwischengericht und Spargel, eine Seltenheit für diese Jahreszeit. Maxime holte alles auf einmal herbei, um nicht nochmals aufstehen zu müssen, und weil der Tisch etwas schmal war, stellte er den eisgefüllten Silberkübel mit der Champagnerflasche zwischen Renée und sich auf den Fußboden. Der gute Appetit der jungen Frau steckte ihn schließlich an. Sie nahmen von allen Gängen, leerten mit stürmischer Fröhlichkeit die Champagnerflasche, ergingen sich in heiklen Theorien und stützten dabei die Arme auf wie zwei Freunde, die, nachdem sie getrunken haben, einander ihr Herz ausschütten. Auf dem Boulevard wurde es allmählich stiller, doch Renée schien es, als nähme im Gegenteil der Lärm zu, und zuweilen war ihr, als drehten sich all diese Wagenräder in ihrem Kopf.
    Als Maxime dem Kellner wegen des Nachtischs läuten wollte, stand sie auf, klopfte die Krümchen von ihrer langen Seidenbluse und meinte: »Tu das, und dann darfst du dir eine Zigarre anzünden.«
    Ihr war etwas schwindlig. Sie ging ans Fenster, angezogen von einem eigentümlichen Geräusch, das sie sich nicht erklären konnte: die Läden wurden gerade geschlossen.
    »Hörst du?« sagte sie, wobei sie sich zu Maxime zurückwandte.
    »Unser Orchester wird schwächer.«
    Wieder lehnte sie sich hinaus. Auf dem Fahrweg kreuzten die Droschken und Omnibusse immer noch ihre farbigen Augen, seltener zwar, doch schneller. Seitlich aber waren längs der Bürgersteige große Schattenlöcher vor den geschlossenen Geschäften entstanden. Nur die Cafés waren noch strahlend erleuchtet und malten helle Lichtstreifen auf den Asphalt. Von der Rue Drouot bis zur Rue du Helder konnte Renée so eine lange Reihe von abwechselnd weißen und schwarzen Vierecken sehen, darin die letzten Spaziergänger auf seltsame Art bald auftauchten, bald verschwanden. Besonders die Dirnen, die mitsamt ihren Schleppen abwechselnd grell beleuchtet und vom Schatten verschluckt wurden, bekamen etwas Gespenstisches, etwas von

Weitere Kostenlose Bücher