Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
bleichen Marionetten, die durch das Scheinwerferlicht einer Zauberposse gehen. Renée freute sich eine Weile an diesem Spiel. Es gab keine breiten Lichtflächen mehr, die Gaslaternen verlöschten, die bunten Kioske setzten jetzt härtere Flecke in die Dunkelheit. Zuweilen flutete ein Menschenstrom vorbei, irgendwo war wohl eine Theatervorstellung zu Ende. Doch bald wurde es leer, und unter dem Fenster kamen nur noch Gruppen von zwei, drei Männern vorüber, denen sich eine Frau näherte. Man blieb stehen, verhandelte. In dem verebbenden Straßenlärm drangen einzelne Worte herauf; meist ging dann die Frau am Arm eines der Männer von dannen. Andere Dirnen schlenderten von Café zu Café, strichen dort von Tisch zu Tisch, nahmen sich die liegengebliebenen Zuckerstückchen, schäkerten mit den Kellnern, sahen den verspäteten Gästen starr ins Gesicht, fragend, in schweigendem Angebot. Und als Renée dem beinahe leeren Verdeck eines Batignoller Omnibus nachblickte, sah sie am Rand des Bürgersteigs die Frau in dem schreiend blauen Kleid mit den weißen Gipürspitzen, die aufrecht dastand und immer noch suchend den Kopf wandte.
    Als Maxime Renée vom Fenster fortholen wollte, wo sie ins Träumen geraten war, glitt beim Anblick eines halboffenen Fensters des Café Anglais ein Lächeln über sein Gesicht; der Gedanke, daß sein Vater zur gleichen Zeit drüben soupierte, schien ihm erheiternd; aber er war an diesem Abend von einem eigenartigen Zartgefühl, das ihn an seinen üblichen Scherzen hinderte. Renée verließ nur ungern die Fensterbrüstung. Etwas wie trunkene Sehnsucht entstieg dem nun verschwommen drunten liegenden Boulevard. Im gedämpften Rollen der Wagen, im Verlöschen der hellen Lichter lag etwas wie eine schmeichelnde Aufforderung zu Wollust und Schlaf. Das Flüstern bald hier, bald dort, die Gruppen, die in einer dunklen Ecke beieinander standen, machten aus dem Bürgersteig den Flur eines großen Gasthauses, zur Stunde, da die Reisenden ihr Zufallslager aufsuchen. Lichter und Lärm erstarben immer mehr, die Stadt begann zu schlafen, ein Hauch von Zärtlichkeit wehte über die Dächer.
    Als sich die junge Frau umwandte, mußte sie im Licht des kleinen Kronleuchters blinzeln. Sie War blaß und hatte ein leichtes Zucken in den Mundwinkeln. Charles richtete das Dessert an. Er ging hinaus, kam wieder herein, schloß hörbar die Tür, alles sehr ruhig, mit dem Phlegma eines Mannes, der weiß, was sich gehört.
    »Aber ich habe ja gar keinen Hunger mehr!« rief Renée. »Nehmen Sie all diese Teller wieder fort und bringen Sie uns den Kaffee.«
    Charles, an die Launen seiner Kunden gewöhnt, trug das Dessert ab, goß den Kaffee ein und erfüllte dabei den ganzen Raum mit seiner Wichtigkeit.
    »Ich bitte dich, schicke ihn hinaus«, sagte die junge Frau, die etwas wie Übelkeit empfand.
    Maxime verabschiedete ihn; kaum aber war er verschwunden, als er noch einmal erschien und mit diskreter Miene die großen Fenstervorhänge sorgfältig zuzog. Als er sich endlich entfernt hatte, sprang der junge Mann, ebenfalls von Ungeduld gepackt, auf und ging zur Tür.
    »Warte«, sagte er, »ich habe ein sicheres Mittel, ihn loszuwerden.«
    Und er schob den Riegel vor.
    »Gott sei Dank«, meinte sie, »jetzt sind wir wenigstens unter uns!«
    Ihr vertrauliches Gespräch, dieses Geschwätz zweier guter Kameraden, begann aufs neue. Maxime hatte sich eine Zigarre angezündet. Renée nippte an ihrem Kaffee und gestattete sich sogar ein Glas Chartreuse105. Er wurde warm, der Salon füllte sich mit bläulichem Rauch. Schließlich stützte Renée die Ellenbogen auf den Tisch und legte das Kinn in die halbgeschlossenen Fäuste. Unter diesem leichten Druck erschien ihr Mund kleiner, die Wangen wurden etwas hinaufgeschoben, und ihre nun schmaleren Augen leuchteten stärker. So zusammengedrängt wirkte ihr kleines Gesicht reizend unter seiner Fülle goldener Löckchen, die ihr jetzt bis zu den Augenbrauen reichten. Maxime betrachtete sie durch den Rauch seiner Zigarre. Er fand sie irgendwie eigenartig. Für Augenblicke war ihm ihr Geschlecht nicht mehr ganz deutlich; die große Falte quer über ihre Stirn, die schmollend vorgeschobenen Lippen, der unsichere Blick ihrer kurzsichtigen Augen machten einen großen jungen Mann aus ihr, um so mehr, als ihre lange schwarze Atlasbluse so hoch hinaufreichte, daß man unter dem Kinn kaum einen Streifen ihres weißen, rundlichen Halses sah. Sie ließ sich lächelnd betrachten, mit reglosem Kopf, den

Weitere Kostenlose Bücher