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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Blick ins Weite gerichtet und ohne ein Wort zu sagen.
    Plötzlich fuhr sie auf; sie ging zum Spiegel, den sie schon ein Weilchen, in Gedanken verloren, angestarrt hatte. Sie reckte sich auf die Fußspitzen und stützte die Hände auf den Kaminsims, um jene Namenszüge, jene Zweideutigkeiten zu entziffern, die sie vor dem Essen abgeschreckt hatten. Mit einiger Mühe buchstabierte sie die einzelnen Silben, lachte und las immer weiter wie ein Gymnasiast, der unter dem Pult die Seiten eines Bandes Piron106 umblättert.
    »Ernest und Clara«, sagte sie, »und darunter ein Herz, das wie ein Trichter aussieht … Ah! Das da ist besser: ›Ich liebe die Männer, weil ich Trüffeln liebe.‹ Unterschrieben: ›Laure.‹ Sag mal, Maxime, hat das die d’Aurigny geschrieben? … Nun kommt das Wappen einer dieser Damen, ich glaube, eine Henne, die eine Riesenpfeife raucht … Und immer noch Namen, der ganze Kalender der weiblichen und männlichen Heiligen: Victor, Amélie, Alexandre, Edouard, Marguerite, Paquita, Louise, Renée – sieh mal an, da ist eine, die so heißt wie ich!«
    Maxime sah ihre glühenden Wangen im Spiegel. Sie reckte sich noch mehr in die Höhe, und der Domino, der sich auf ihrem Rücken spannte, zeichnete ihre Taillenlinie ab und den Ansatz ihrer Hüften. Der junge Mann folgte den Linien des Seidenstoffs, der glatt wie ein Hemd anlag. Jetzt stand auch er auf und warf die Zigarre fort. Er fühlte sich unbehaglich, beunruhigt. Etwas Gewohntes und Vertrautes fehlte ihm.
    »Ach, da steht ja auch dein Name!« rief Renée. »Hör mal zu: ›Ich liebe …‹«
    Maxime hatte sich auf eine Ecke des Diwans gesetzt, beinahe zu Füßen der jungen Frau. Mit einer schnellen Bewegung gelang es ihm, ihre Hände zu fassen. Er zog sie vom Spiegel fort und sagte mit eigentümlicher Stimme: »Lies das nicht – ich bitte dich darum!«
    Sie wehrte sich, lachte nervös.
    »Aber warum denn nicht? Bin ich nicht deine Vertraute?« Doch er gab nicht nach und bat in noch dumpferem Ton: »Nein, nein … nicht heute abend!«
    Er hielt sie noch immer fest, während sie ihn mit kleinen Bewegungen ihrer Handgelenke abzuschütteln versuchte. Beide hatten Augen, die sie aneinander nicht kannten, und lächelten lange gezwungen und etwas beschämt. Jetzt sank sie neben dem Diwan in die Knie. Noch immer rangen sie miteinander, obwohl Renée keine Bewegung mehr auf den Spiegel zu machte und bereits nachzugeben begann. Und als der junge Mann sie um die Taille faßte, sagte sie mit einem verwirrten, verlöschenden Lächeln: »Komm! Laß mich los! Du tust mir weh.«
    Das war das einzige, was von ihren Lippen kam. In der tiefen Stille des Zimmers, worin das Gas heller zu brennen schien, fühlte sie den Fußboden wanken und hörte den Omnibus nach Batignolles, der wohl soeben um die Ecke des Boulevards fuhr. Und dann war es soweit. Als sie sich nebeneinander auf dem Diwan sitzend wiederfanden, stammelte er, mitten in ihrem beiderseitigen Unbehagen: »Ach was! Einmal mußte das ja kommen …«
    Sie sagte nichts. Völlig gebrochen starrte sie auf das Muster des Teppichs.
    »Hast du je daran gedacht?« fuhr Maxime, noch undeutlicher stammelnd, fort. »Ich keineswegs … Ich hätte mich vor diesem Raum hüten sollen …«
    Sie aber sprach mit tiefer Stimme, als wäre durch diesen furchtbaren Fehltritt die ganze bürgerliche Ehrbarkeit der Familie Béraud Du Châtel in ihr erwacht, völlig klar, mit einem gealterten und sehr ernsten Gesicht: »Schändlich ist das, was wir da getan haben.«
    Sie glaubte zu ersticken. Sie ging ans Fenster, zog die Vorhänge zurück, stützte sich mit beiden Armen auf die Brüstung. Das Orchester war verstummt; beim letzten zitternden Klang der Baßgeigen, beim fernen Singen der Violinen, begleitet von der gedämpften Melodie des schlafenden, von Liebe träumenden Boulevards war die Sünde geschehen. Da unten dehnten sich Bürgersteige und Fahrbahn inmitten einer grauen Einsamkeit in die Ferne. All die lärmenden Wagenräder schienen verschwunden zu sein und die Helligkeit und die Menschenmenge mit sich genommen zu haben. Das Café Riche unterhalb des Fensters war geschlossen, kein Strahl drang durch die Läden. Jenseits der Straße beleuchteten nur noch einige wie glühende Kohlen schimmernde Lichter die Fassade des Café Anglais, unter anderen ein halbgeöffnetes Fenster, aus dem gedämpftes Gelächter tönte. Und längs dieses ganzen Schattenbandes, von der Ecke der Rue Drouot bis zum andern Ende, sah Renée, soweit

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