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Die Beute

Die Beute

Titel: Die Beute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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gefährlich war. Gleichzeitig wünschte sie sich leidenschaftlich, dass Aba ihnen »die Antwort« präsentieren und ihre Probleme lösen würde.
    Aba tat nichts von alledem. Stattdessen sagte sie nach einigen Minuten: »Wisst ihr, gestern Nacht habe ich von einer Hausa-Geschichte geträumt, die meine Mutter mir früher immer erzählt hat. Ich habe sehr, sehr lange nicht mehr an diese Geschichte gedacht. Ich frage mich, ob ich sie nicht für euch geträumt habe.«
    »Für uns?«
    »Ja. Vielleicht bin ich dazu bestimmt, sie euch zu erzählen.
« Sie lehnte sich zurück und dachte einen Augenblick lang nach, dann begann sie: »Die Geschichte handelt von einem Jungen und einem Mädchen, die ineinander verliebt waren. Aber eines Tages, als sie zusammen auf ihrer Matte saßen, kam Iblis des Weges, schnitt dem Jungen den Kopf ab und tötete ihn.«
    »Iblis?« Der Name kam Jenny irgendwie bekannt vor. »Wer ist das?«
    »Iblis«, sagte Aba ernst, »ist der Prinz der Dunkelheit, der Prinz der Aljunnu  …«
    »Die Dschinn«, murmelte Dee und sah Jenny mit blitzenden Augen an.
    »Ja«, bestätigte Aba. »Aber laut unserer Volkskunde waren die Aljunnu keine freundlichen Dschinn. Sie waren mächtige und böse Geister und Iblis war ihr Anführer. Meine Mutter hat mir nie erzählt, warum er dem Jungen den Kopf abgeschnitten hat – aber andererseits tat Iblis gern Böses und stiftete Unheil, vielleicht hatte er gar keinen speziellen Grund. Jedenfalls tötete Iblis den Jungen, und das Mädchen konnte nichts anderes tun, als auf der Matte zu sitzen und zu weinen. Nach einer Weile kamen die Eltern des Jungen vorbei, und als sie sahen, was geschehen war, begannen auch sie zu weinen.
    Dann kam Iblis zurück. Er wedelte mit der Hand und die Erde bebte. Vor dem Jungen erschienen ein Fluss aus Feuer, ein Fluss aus Wasser und ein Fluss aus Kobras. Und Iblis drehte sich zu der Mutter des Jungen um und
sagte: ›Wenn du deinen Sohn ins Leben zurückbringen willst, brauchst du nur durch die drei Flüsse zu schwimmen, um ihn zu holen.‹«
    »Na klar«, murmelte Michael fast unhörbar. Aba lächelte ihn an und fuhr fort.
    »Aber die Mutter des Jungen hatte Angst. Sie wandte sich an ihren Ehemann, aber der hatte genauso große Angst.
    Da sprang das Mädchen auf. ›Ich werde es tun‹, erklärte sie. Natürlich hatte auch sie schreckliche Angst, aber ihre Liebe zu dem Jungen war stärker als ihre Angst. Ohne ein weiteres Wort sprang das Mädchen in den Fluss aus Feuer. Das Feuer verbrannte sie natürlich – meine Mutter sagte immer, das Feuer habe sie verbrannt, wie es Feuer eben tut –, aber sie schwamm durch den Fluss hindurch und sprang in den Fluss aus Wasser. Und das Wasser ertränkte sie beinahe – wie es Wasser eben tut –, aber das Mädchen kämpfte sich hindurch und fiel in den Fluss aus Schlangen. Und die Schlangen griffen sie an …«
    »… wie es Schlangen eben tun …«, grinste Dee.
    »… aber das Mädchen schaffte es, zwischen ihnen hindurchzuwaten, und als Nächstes erreichte sie den Jungen.
    Sobald sie ihn berührte, flog der Kopf des Jungen auf seine Schultern, und er sprang auf, lebendig und gesund. Iblis ging fluchend davon, um in einem anderen Teil der Welt Unheil zu stiften. Ich vermute, der Junge und das
Mädchen haben geheiratet, obwohl ich mich nicht daran erinnere.«
    Aba blickte in die Runde. »Das ist also die Geschichte, wie meine Mutter sie mir erzählt hat. Ich weiß nicht, welche Bedeutung sie für euch hat – vielleicht gar keine. Aber jetzt habt ihr sie gehört.«
    »Vielleicht bedeutet sie, dass Liebe stärker sein kann als Angst«, sagte Jenny leise.
    »Vielleicht bedeutet sie, dass man auf seine Eltern nicht bauen kann«, sagte Michael todernst, und Aba lachte.
    »Mir gefällt Jennys Interpretation besser. Aber wie gesagt, vielleicht hat die Geschichte auch überhaupt keine Bedeutung. Oder möglicherweise ist es nur eine Geschichte über die jeweiligen Kräfte von Gut und Böse.«
    Jenny schaute schnell auf. »Glauben Sie an Gut und Böse?«
    »Oh ja. Und wie. Ich glaube, dass das Böse manchmal bekämpft werden muss – persönlich. Mann gegen Mann. Wenn es einem wichtig genug ist.«
    »Sie wissen, was man über unsere Generation sagt. Dass uns Recht oder Unrecht gleichgültig wären. Dass uns selbst die Zukunft gleichgültig wäre«, sagte Michael.
    »Ja, wie die Generation X«, warf Dee grinsend ein.
    »Nein, wir sind zu jung, um zur Generation X zu gehören.«
    »Aber es ist nicht wahr

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