Die Beute
Gedanke durch den Kopf ging, flackerte die Beleuchtung um sie herum wild auf und erlosch.
Es war, als würden sie auf einer Achterbahn in den Tunnel stürzen. Dee hatte plötzlich das Gefühl, dass alles viel zu schnell passierte – und gleichzeitig wie in Zeitlupe ablief, Bild für Bild.
Ihre Augen hatten sich noch nicht an die Dunkelheit gewöhnt, sodass sie zunächst nichts erkennen konnte. Aber das Knurren aus dem hinteren Teil des Wagens hörte sie deutlich.
Es war ein tiefes, gepresstes, animalisches Geräusch. Ein mächtiges Geräusch – das nur etwas Gewaltiges von sich geben konnte. So schleppend wie ein verzerrter Soundtrack. Wie eine Halluzination.
»Was …« Michael riss an seinem Sicherheitsgurt und schaute nach hinten. Dee sah das Weiß in seinen Augen. Dann erhaschte sie auch einen Blick auf das, was auf der Rückbank des Wagens war.
Bleiche Augen, weiße Zähne, klaffende Kiefer. Endlich
gewöhnten sich Dees Augen an die Lichtverhältnisse. Sie sah, wie sich eine massige Gestalt in diesem unglaublich kleinen Raum materialisierte – wie ein Geist aus einer Flasche.
Aber es ist noch nicht ganz da, bemerkte Dee.
Sie hatten keine Zeit zu verlieren. »Steig aus!«, schrie sie Michael an. Aber Michael war wie erstarrt, klammerte sich am Beifahrersitz fest und keuchte. Dee griff über ihn hinweg und zerrte am Türgriff. Sie stieß ihn aus der offenen Tür und bremste im selben Moment automatisch ab.
Michael fiel mit einem dumpfen Krachen hinaus. Dee spürte einen Luftzug auf der Wange – warm wie der Dunst aus einer Mikrowelle. Und nass. Ein tierischer, moschusartiger Geruch ließ ihre Nasenflügel beben.
Das Knurren war direkt in ihrem Ohr.
Bewegung, Mädchen!
Sie trat aufs Gaspedal. Das Knurren fiel zurück, jetzt hörte sie das Scharren von Klauen direkt hinter sich. Mit einer einzigen Bewegung öffnete Dee ihre Tür und schwang sich hinaus.
To-jin-ho war die Kunst, einen Sturz auf harte Flächen abzufedern. Dee rollte sich ab und war sofort wieder auf den Beinen, als der Spider gegen die Wand der Garage knallte.
Etwas in ihr beobachtete diesen Aufprall mit freudiger Ehrfurcht. Also, das ist ein Krach, dachte sie und lächelte wild.
Dann sah sie eine Bewegung. Aus dem Spider heraus. Sie hörte ein anschwellendes Knurren.
Dee wirbelte auf dem Absatz herum und rannte los.
Sie konnte das Licht des Treppenhauses vor sich sehen. Wenn sie es dorthin schaffte …
Sie spürte, wie ihre Turnschuhe auf den Beton trommelten, wie ihre Arme hin und her schwangen, wie ihre Lungen pumpten. Ihr Mund verzog sich erneut zu einem Grinsen. In diesem Moment war Deirdre Eliade von solch intensiver Lebensfreude erfüllt, dass sie das Gefühl hatte, fliegen zu können.
»Komm schon, du verdammtes Mistvieh!«, rief sie und hörte sich wild lachen. »Komm und hol mich!«
Noch nie zuvor hatte sie gegen einen vierbeinigen Gegner gekämpft, aber sie würde es mit ihm aufnehmen. Und sehen, wie ein Wolf auf einen Roundhouse-Kick reagierte.
Sie erreichte das Treppenhaus und wirbelte immer noch lachend herum. Das Blut sang in ihren Adern, jeder Atemzug war süß. Ihre Muskeln waren voller vibrierender Energie, wie elektrisiert. Sie fühlte sich stark, dynamisch, zu allem bereit.
Dann hörte sie das Knarren einer Tür hinter sich – und ein endloses, grausames Zischen.
Michael rappelte sich gerade hoch, als Jenny und Tom um die Ecke bogen und in die Tiefen der düsteren Garage starrten. Er hielt sich einen Knöchel.
»Dee …?«, stieß Jenny hervor. Das Echo eines metallischen Krachens hallte noch immer in ihren Ohren nach.
Michael deutete auf den hinteren Teil der Tiefgarage. Da sah Jenny es – etwas Großes, Dunkles an der Wand. Der Spider.
Plötzlich flackerten die Leuchtstoffröhren wieder an und sie erkannte Farben.
Die Front des Spider war eingedrückt. Von Dee keine Spur.
»Kommt!« Tom rannte bereits auf den Wagen zu. Dann schaute er nach links und rief: »Die Treppe!«
Dort schwang gerade die Tür zu. Jenny hörte den Schlag und rannte heftig atmend los. Tom erreichte die Tür als Erster und zerrte mit beiden Händen am Knauf.
Die Tür schwang auf und krachte gegen die Wand. Eine einzige Leuchtstoffröhre flackerte oben im Treppenhaus und Jenny konnte ihr eigenes Keuchen in dem kleinen Raum hören. Aber nichts bewegte sich außer den Schatten.
Dees Papierpuppe lag in einem leicht versengten Kreis auf dem Betonboden.
»Er wird uns alle kriegen.«
Jenny zog die elastische
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