Die Beutefrau
ihm der König das Gut geschenkt hat, hält er sich für etwas Besseres«, empörte sich der Führer. »Dabei weiß ich, daß er früher sogar nur ein Halbfreier war.«
»Für welche Verdienste erhielt er denn das Gut?« erkundigte sich Carolino neugierig.
»Riculf hat sich beim Sachsenfeldzug vor fünfzehn Jahren als besonders tapfer erwiesen. Heute behauptet er, daß er eigenhändig hundert Ungläubige geköpft hat, als seine Truppe in einen Hinterhalt gelockt wurde. Dabei waren es nur fünfzehn! Nun, dafür und weil er wohl ein ganzes Nest voller Sachsen ausgehoben hat, erhielt er seine Freiheit und dieses Gut als Lehen. Er nennt sich jetzt stolz Ritter, als ob das ein Stand von Rang sei!«
Carolino wies auf seine gepanzerten Reiter, die emsig damit beschäftigt waren, Enten zu rupfen. »Ein Ritter ist ein bewaffneter Kämpfer auf einem Pferd, nicht mehr und nicht weniger. Ein freier Mann. Wie du auch. Weshalb will dieser Ritter dir seine Tochter denn nicht geben?«
Der Führer blickte zu Boden und antwortete leise: »Ich bin ihrer nicht wert, sagt er. Aber wenn ich …«
»… wenn du den Sohn des Königs in sein Haus bringst, wird er dich als ihrer würdig betrachten?« fragte Carolino belustigt.
»Ja, Herr, das glaube ich«, antwortete der Führer eifrig nickend. »Das bringt ihm viel Ehre, und dann steht unserer Liebe nichts mehr im Wege.«
»Die Liebe ist wahrlich ein seltsames Gewächs«, murmelte Carolino. »Wer es gefunden hat, sollte es gut hegen.« Er wandte sich an Gerswind, und der Blick, den er ihr dabei zuwarf, ließ das seltsame Gewächs in ihrem Herzen voll erblühen: »Was meinst du, sollen wir unserem Führer diesen Gefallen tun?«
Wie gern wäre Gerswind jetzt mit Carolino allein gewesen und hätte von ihm vernommen, daß ihr seine ganze Liebe gehöre. Aber hatte er dies nicht bereits mit anderen Worten gesagt? Er liebte sie! Wie friedlich wäre es doch auf der Welt, wenn überall die Liebe gedeihen würde, dachte sie und fragte den Führer: »Will das Mädchen dich denn auch haben?« Erst nachdem sie diese Worte ausgesprochen hatte, fiel ihr ein, daß sich der Vater dieses Mädchens damit brüstete, Hunderte von Sachsen geköpft zu haben. Sie blickte nachdenklich zu Carolino. Wie viele Sachsen hatte er wohl auf dem Gewissen? Der Mann fiel vor dem jungen Karl auf die Knie und küßte seine Hände. »Herr, wenn Ihr Euch meiner erbarmtet!«
Carolino mißdeutete Gerswinds Blick. Er las darin den Wunsch, einem anderen Liebespaar zu helfen.
»Gut«, sagte er, »aber nur wenn du mir gelobst, daß wir morgen abend in der Abtei von Denain eintreffen werden. Für Umwege haben wir keine Zeit.«
Als sie sich der kleinen Häuseransammlung näherten, versuchte Gerswind noch einmal, den Gedanken zu verdrängen, daß sie bei einem Mann die Nacht verbringen sollten, der stolz darauf war, Sachsen getötet zu haben. Der für diese Tat mit einem Lehen beschenkt worden war. Von König Karl. In den Jahren, die sie mittlerweile am Hof verweilte, hatten die Leute, die sie beherbergten, Tausende von Sachsen getötet, verwundet, verschleppt, umgesiedelt und als Geiseln genommen, und der Gedanke daran hatte sie immer geschmerzt. Sie wunderte sich selbst darüber, daß sie sich jetzt noch mehr über die Taten dieses einzelnen Ritters empörte. Vielleicht liegt es daran, daß Carolino gefragt hat, ob sie sich als Sächsin fühle. Sie bedauerte, daß sich wohl wieder keine Gelegenheit ergeben würde, mit ihm allein zu sein und ihr Gespräch fortzusetzen.
Der mehrstöckige geräumige Bergfried des Sachsentöters erhob sich inmitten einer Reihe von Grubenhäusern und gebrechlichen Holzbauten, die von einem liederlichen Palisadenring umzäunt waren. Verlumpte Kinder mit schmutzigen Gesichtern stürzten den Ankömmlingen entgegen, als das große Tor geöffnet wurde, um den Reisezug einzulassen.
Der Führer, der vorausgeeilt war, um den hohen Besuch anzukündigen, stand mit stolzgeschwellter Brust hinter dem Hausherrn, dessen Frau und einem zierlichen schwarzhaarigen Mädchen.
Nachdem Carolino die Ehrenbezeugungen des Ritters und von dessen Familie entgegengenommen hatte und sich mit Gerswind, die als Verwandte des Königs vorgestellt wurde, und dem Anführer seiner bewaffneten Reiter im Hauptraum des Bergfrieds hingesetzt hatte, rief er fröhlich: »Wir sind gekommen, Verlobung zu feiern!«
Daß seine Hand bei diesen Worten Gerswinds Arm leicht streifte, kam ihr fast wie ein Versprechen vor. Die dunklen
Weitere Kostenlose Bücher