Die Beutefrau
auf einen Mann blickten, der in der Mitte des Raums reglos auf einem Tisch lag. Ansonsten gab es keine Möbel, Baumstämme dienten als Sitzgelegenheit, und eine Lage schmutzigen Strohs bedeckte den Boden. Alle Augen wandten sich der Frau mit dem langen weißblonden Haar zu, die den Kopf hatte einziehen müssen, um das Haus zu betreten. Hastig machte man ihr eine Gasse frei.
»Eine Ehre, daß Ihr kommt«, flüsterte eine Frau und verneigte sich tief vor Gerswind. »Er ist im Kampf gestorben, und unser Herr wird daher gut für uns sorgen.« Jetzt erst erkannte Gerswind den Mann, der beim Schweinespiel gestürzt war. Sie bezwang ihren Brechreiz, verneigte sich vor dem Toten, drückte seiner Witwe die Hand und kehrte zum Wohnturm zurück. Der kurze Blick in das elende Leben der Unfreien hatte sie so verstört, daß sie sich sofort in die ihr zugewiesene Kammer verzog, wo sie in einer Truhe alte Stoffstreifen fand, mit denen sie ihr kleines Problem beheben konnte.
Die Tiere in des Königs Zwingern waren weitaus besser untergebracht als diese Menschen.
Darüber setzte sie auch Carolino ins Bild, als sie am nächsten Morgen ihren Weg wieder verfolgten.
»Aber warum bist du überhaupt dort hineingegangen?« fragte er mit leisem Vorwurf in der Stimme. »Das war nicht recht von dir.«
Während Gerswind noch überlegte, ob sie den Stolz der armen Unfreien verletzt haben könnte, fuhr Carolino fort: »Die Leute sind schmutzig, da kann mein Vater noch so viele Kapitulare über Waschungen herausgeben, und sie haben Krankheiten. Es ist ungesund, ihren Häusern zu nahe zu kommen und sich mit ihnen gemein zu machen.«
Sie fand diese Bemerkung überraschend herzlos und musterte ihren Begleiter nachdenklich von der Seite.
»Aber haben die, denen es besser geht, nicht die Pflicht, anderen Christenmenschen zu einem würdigeren Leben zu verhelfen?« fragte sie forschend.
»Man kann nicht allen helfen. Auch wenn mein Vater das offensichtlich glaubt und dazu alle möglichen Gesetze erläßt. Es gibt eben Arme und Reiche, Gesunde und Aussätzige, und Gott hat das gemeine Volk nun einmal dazu geschaffen, daß es den Herrschenden diene – so war es immer, und so wird es auch bleiben, daran wird kein Kapitular je etwas ändern.«
Gerswind schwieg betroffen. In ihren erdachten Gesprächen mit dem Geliebten hatte er sich völlig anders geäußert. Da hatte er mindestens ebensoviel Verständnis für Unfreie, Hörige und Sklaven aufgebracht wie sein Vater, der in zahlreichen Kapitularien die Lage dieser vom Schicksal gebeutelten Geschöpfe zu bessern suchte und seinen Grafen stets einbleute, sie ja gut zu behandeln. Jetzt klang Carolino wie sein Bruder Ludwig. Und das gefiel ihr überhaupt nicht.
Der junge Karl schien ihr Unbehagen zu spüren, denn er wechselte das Thema. »Ich würde lieber mit dir über etwas Wichtigeres reden, darüber, wie wir so lange aneinander vorbeigeliebt haben und wie schön es ist, daß dies nun ein Ende hat.«
Er führte sein Pferd näher an ihres heran, griff zu ihr hinüber, nahm einen Strang ihres langen blonden Haares in die Hand und ließ ihn zärtlich durch seine Finger gleiten.
»Das wollte ich schon lange einmal tun«, sagte er leise. »Es fühlt sich wirklich wie Seide an. Gerswind?«
»Ja?« fragte sie, während sich die widerstreitendsten Gefühle in ihrem Körper regten.
»Magst du mich genug, um mich zu heiraten?«
Ihr wurde schwindlig vor Augen. Sie hatte damit gerechnet, daß sie ihr vor einem Tag unterbrochenes Gespräch weiterführen könnten, hatte gehofft, daß er ihr von Liebe sprechen, sich ihr allmählich nähern und sie küssen würde. Ja, sie hatte auch davon geträumt, seinen Körper an ihrem zu spüren. Aber nie hätte sie gedacht, daß er ihr eine solche Frage stellen würde! Eine Frage, die sie zu ihrer eigenen Überraschung bestürzte.
Der Königssohn wollte sie heiraten, sie, die nichts als ihre Liebe in eine solche Ehe einzubringen hatte! Er durfte sich doch nicht so ohne weiteres von einer Neigung leiten lassen und mußte wissen, daß ihm sein Vater gewiß eine glanzvolle Heirat mit einer länderreichen Prinzessin oder zumindest einer so hohen Frau, wie es die Gemahlinnen seiner Brüder waren, zugedacht hatte! Was würde aus ihr werden, wenn der König ihr unterstellte, seinen Sohn verhext zu haben und sie mit Schimpf und Schande vom Hof jagte? Er mußte ja davon ausgehen, daß sie ihn hintergangen hatte, ihn, der sie wie eine Tochter an seinem Hof aufgenommen hatte,
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