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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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wußte Gerswind, daß Bertrada wie eine gute Fee das Leben vieler einfacher Menschen auf das beste beeinflußt hatte, weil sie jedem, mit dem sie zu tun hatte, ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte. Als die Witwe Gislind im Prümer Genitium noch Handlangerarbeiten verrichtete, hatte Bertrada ihr beispielsweise einst den entscheidenden Hinweis auf ihren künftigen Mann gegeben.
    Leise zog Gerswind die Tür des königlichen Schlafgemachs hinter sich zu. Sie war erleichtert, niemandem im Flur zu begegnen, und eilte zunächst in ihre eigene Kammer. Dort rüttelte sie Hruodhaid wach.
    »Sag deinem Vater, daß ich wegen dringender Angelegenheiten für eine Zeitlang auf Reisen gehen muß.« Diesmal würde sie nicht heimlich verschwinden. Karl sollte sich keine Sorgen um sie machen.
    Verschlafen richtete sich Hruodhaid auf und warf die schweren roten Locken in den Nacken.
    »Gerswind …«
    »Hast du mich verstanden, Hruodhaid, ich gehe auf Reisen!«
    »Auf Reisen? W… w… war…rum?«
    Gerswind legte sich der Länge nach aufs Bett und nahm Hruodhaid in die Arme.
    »Das hängt mit Teles zusammen.«
    »Hast du ihm etwas Be… Bestimmtes versprochen?«
    »So ist es.«
    »Ab… ab… aber T… Teles ist tot. Ich 1… lebe! Ich brauche dich, Gerswind, du … du … d…d … darfst nicht einfach weggehen!«
    Sanft streichelte Gerswind Hruodhaids heiße Stirn.
    »Es ist nicht für immer«, sagte sie tröstend. »Ich werde zurückkommen. Auch wenn es eine Weile dauern wird. Aber du kannst dich freuen, Hruodhaid. Denn du gehst auch auf Reisen!«
    »Ich?«
    Gerswind legte Hruodhaid einen Finger auf den Mund. »Nicht weitersagen. Ich habe gehört, daß Äbtissin Gisela aus Chelles in absehbarer Zeit kommt und dich für ein paar Wochen zu sich einladen möchte.«
    Hruodhaids Augen begannen zu leuchten. »Äbtissin Gisela! Sie hat mir so gefehlt!«
    »Na, siehst du! Und danach sind wir wieder zusammen.«
    »Ich will aber nicht, daß du gehst!«
    »Jetzt bin ich ja hier. Schlaf weiter, mein Kind.«
    Noch nie hatte sie zu jemandem mein Kind gesagt. Es klang ihr ganz fremd in den Ohren. Doch Hruodhaid lächelte beseligt, drückte Gerswind kurz an sich, nickte, legte sich wieder aufs Kissen und schlief beinahe augenblicklich ein.
    Gerswind hatte nur weniges zu packen. Der Diamant um ihren Hals würde ihr gute Dienste leisten, dachte sie. Doch wie sich herausstellte, brauchte sie ihn nicht einzusetzen. Als sie nämlich in den Wirtschaftsräumen nach Proviant für ihre Reise fragte, erfuhr sie, daß sich die kleine Händlergruppe, die Tuch und Bier aus Prüm nach Aachen gebracht hatte, gerade für den Heimweg rüstete.
    Welch unglaublicher Zufall, dachte sie und dann: Das Schicksal meint es gut mit mir. Ich bin ein Glückskind.
    Karl hatte keine Zeit, um lange über Gerswinds Verschwinden nachzudenken. Es beruhigte ihn zu erfahren, daß sie sich dem Reisezug angeschlossen hatte. In Prüm war sie gut aufgehoben, bis er sich wieder um sie kümmern konnte. Er würde noch heute einen Brief an Vater Assuerus schicken, den Abt des Prümer Klosters, daß er ein Auge auf sie halten sollte. Dem Hof würde er mitteilen, daß Gerswind im Prümer Genitium nach dem Rechten sehen wolle.
    Es hatte ihm einen Stich versetzt, als er sie beim Erwachen nicht in seinem Bett vorfand, aber nach der Gemeinsamkeit dieser Nacht vertraute er ihr vorbehaltlos und verstand, daß sie aus ihrer Sicht in der jetzigen Lage keine andere Wahl gehabt hatte. Nie hatte Karl daran gezweifelt, daß sie eines Tages zu ihm kommen würde, aber Ort und Zeitpunkt, an dem dieses geschah, hatten auch ihn überrascht. Wie frei von Scham sie ist, dachte er gerührt, und wie verletzlich dadurch. Ihre unbeholfenen Liebkosungen hatten eine Innigkeit in ihm geweckt, die ihm keine seiner erfahrenen Beischläferinnen mit ihren Kunstgriffen je beschert hatte. Das Verschmelzen der Körper, gut, das kannte und liebte er, der Augenblick der Verzückung war immer erhebend, ganz gleich, welcher Körper diese Besonderheit erzeugte, aber das Davor und das Danach hatte sich mit Gerswind gänzlich anders gestaltet, als er es bisher immer eingerichtet hatte. Und damit wurde ihm auch deutlich, worin sich die Nacht mit Gerswind von den Nächten mit seinen anderen Geliebten unterschied. Er hatte nichts eingerichtet.
    Ohne es selbst zu wissen, hatte Gerswind den Ton angegeben, hatte ihn, den erfahrenen Liebhaber, auf ihre Reise mitgenommen und damit überrascht. Sicherlich war sie eine unter vielen,

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