Die Beutefrau
doch sie war die erste, bei der er, der König, sich einfach hatte fallenlassen. Er hatte ihr keine liebevollen Hinweise gegeben, sie nicht zärtlich angeleitet, sondern einfach genossen, was sie ihm zu bieten hatte. In gewisser Weise hatte sie ihn bezwungen. Und das wußte sie nicht einmal! Betroffen fragte er sich, ob sein Sohn Karl mit Gerswind etwa die gleichen Erfahrungen gemacht hatte. Jetzt zweifelte er nicht mehr im geringsten daran, daß die beiden auf der gemeinsamen Reise die Freuden einer Hochzeitsnacht vorausgenommen hatten. Er war überrascht, wie wenig ihn das störte.
Vielmehr staunte er darüber, wie unbefangen er sich in dieser Nacht mit ihr über seine derzeitigen Probleme hatte unterhalten können, ja er hatte ihr sogar verraten, was er von diesem Pontifex mit dem lockeren Lebenswandel wirklich hielt: »Ein Schweinepapst!«
»Du brichst doch auch die Ehe, Karl«, hatte sie erwidert. »Bist du deshalb ein schlechter König? Und ist der Papst nicht gleichfalls als Mensch geboren? Hätte er keine Schwächen, würde er sein Menschsein verleugnen.« Ehe Karl etwas entgegnen konnte, fuhr sie fort: »Unsere Götter, ich meine natürlich die der Sachsen, Germanen und Griechen – das weiß ich von Teles –, haben auch ihre Schwächen, und vielleicht sind sie dadurch liebenswerter und dem Volk näher und verständlicher als ein rächender …« Sie brach kurz ab, ehe sie weitersprach: »Papst Leo wurden vielleicht besondere Prüfungen auferlegt, aus denen er als starker Führer der Christenheit hervorgehen kann.«
Sie hatte das mit einer solch aufrichtigen Überzeugung geäußert, daß sich Karl ein höhnisches Lachen verkniff.
»Ein interessanter Aspekt, würde Angilbert sagen«, meinte er, »aber wenn alles einem höheren Zweck dient, wie soll ich dann mit meinen Freunden umgehen, die den Heiligen Vater angegriffen haben?«
»Gute Freunde?« fragte Gerswind.
»Na ja, besonders oft sehe ich sie nicht, aber insbesondere Campulus fühle ich mich durchaus verbunden.«
»Dann darfst du ihn nicht opfern. Freunde sind wichtiger als Päpste. Freundschaft ist wichtiger als alles andere.«
Am hellen Morgen konnte sich Karl kaum mehr vorstellen, daß er Gerswind tatsächlich um Rat gefragt hatte, ob er wirklich nach Rom reiten solle, wie ihm Alkuin nahegelegt hatte.
»Hältst du es selbst für richtig?« hatte sie nach kurzem Überlegen gefragt.
»Nein.«
»Dann reise nicht«, riet sie. »Tu nichts. Wenn ich nicht weiß, was ich tun soll, warte ich erst einmal ab. Meistens kommt dann die Lösung von ganz unerwarteter Seite. Und dann ist es gut, wenn du deine Kraft aufgespart hast und sie einsetzen kannst, ohne daß du sie vorher durch zielloses Handeln vergeudet hast.«
Sie erzählte ihm von ihrer Wanderung nach Prüm. Wie sie sich durch den Wald hatte treiben lassen und jeden Morgen die Speisereste der vor ihr gehenden Reisegruppe verzehrt hatte.
»Dein ältester Sohn Pippin hat mir das Leben gerettet.«
»Dafür bin ich ihm dankbar.«
»Vielleicht kannst du ihn das ja einmal wissen lassen. Es würde ihm viel bedeuten.«
Karl hatte empört geschnaubt und erwidert: »Er wollte mich ermorden. Meine ganze Familie. Und dich auch.«
»Karl.«
Sein Name, eine einzige Silbe nur, und darein hatte sie alles gelegt, was wirklich wichtig war. Ihre Stimme bat ihn, seinem Ältesten endlich wirklich zu vergeben, die Vergangenheit ruhen und der Zukunft ihren Lauf zu lassen. Wie zartfühlend dieses Mädchen war, wie empfindsam! Sofort keimte ein anderer Gedanke auf, und einen Augenblick lang plagten ihn Unsicherheiten: Hatte er sich vielleicht doch zu sehr gehenlassen? Hätte er sie nicht anleiten sollen? War er ihr grob vorgekommen? Zu gierig? Zu unaufmerksam? Hatte er sie vielleicht gar verschreckt? Mit seinem Gerede über die politische Lage und seine diesbezüglichen Sorgen? Hätte er sich zügeln sollen, wie er es sonst immer ganz bewußt bei noch nicht gänzlich zugerittenen Pferden und Mädchen tat? Das erste Mal der Zweisamkeit geriet dabei nie zum Vergnügen, sondern diente dazu, die Richtung zu bestimmen und später zu genießende Freuden vorzubereiten. Aber nein, dachte er, mit einer solchen Beflissenheit hätte er bei seiner Gerswind, dem geschwinden Speer, nicht vorgehen dürfen. Sie war wie einer dieser Bäume, die ihr Volk so liebte, in einem fruchtbaren Boden verwurzelt, stark, unbeugsam und höchstens durch einen Blitz oder einen Bonifatius zu fällen. Er durfte sie weder zureiten noch
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