Die bezaubernde Arabella
ihn nicht in ein vom Schicksal begünstigtes Kind verwandeln können. Er hatte scharfe Züge, einen breiten Mund, aus dem ein Vorderzahn fehlte, und eine Stupsnase. Sein borstiges Haar legte sich nicht in Locken, und seine Ohren waren abstehend.
»Ich begreife nicht recht, was Sie von mir erwarten«, sagte Seine Lordschaft ärgerlich. »Wenn Sie von den Gesetzen, die das Lehrlingswesen regeln, eine Ahnung hätten, meine beste Miss Tallant, dann wäre Ihnen klar, daß wir diesen Knaben nicht seinem Meister vorenthalten dürfen.«
»Wenn der Meister einen Lehrling schindet, wie dieses Kind geschunden worden ist«, gab Papas Tochter heftig zurück, »dann setzt er sich einer gerichtlichen Verfolgung aus! Und was mehr besagen will, dieser Mann weiß das und erwartet gar nicht, daß wir ihm Jimmy zurückgeben.«
»Und ich soll den Knaben wohl adoptieren?« höhnte Frederick.
»Nein, daran dachte ich nicht«, Arabellas Stimme war jetzt weniger fest, »ich meinte nur, Sie würden Mitleid mit einem übel zugerichteten Geschöpf empfinden.«
Frederick errötete. »Aber gewiß, ich bedaure ihn von ganzem Herzen, nur…«
»Wissen Sie, daß sein Meister im Kamin unter ihm Feuer anmachte, um ihn in den Schacht hinaufzutreiben?«
»Nun ja, vermutlich wäre er nicht hinaufgestiegen, wenn – schön und gut, es ist höchst ungehörig, aber Kamine müssen schließlich gefegt werden, nicht? Was sollte sonst aus uns werden?«
»Ach, wenn doch Papa hier wäre!« rief Arabella. »Ich sehe wohl, es hat keinen Sinn, mit Ihnen zu sprechen, Sie sind selbstsüchtig und herzlos, und Ihnen geht es nur um Ihre Bequemlichkeit!«
In diesem höchst unpassenden Augenblick ging die Türe auf, und der Kammerdiener meldete zwei morgendliche Besucher. Nachher erklärte er diesen Mißgriff, den er ebenso deutlich empfand wie seine Herrin, mit der Behauptung, er habe angenommen, die Miss sei noch mit »diesem Knaben« oben. Frederick gab durch einen hastigen Wink zu verstehen, daß er die Besucher nicht in diesem Salon zu sehen wünsche, aber da war es schon zu spät. Lord Fleetwood und Beaumaris traten ein.
Der Empfang, der ihnen zuteil wurde, war ungewöhnlich. Lady Bridlington ließ einen Seufzer hören, ihr Sohn stand wie angewurzelt mitten im Raum, lief rot an und sah aus wie eine Panoptikumfigur; Miss Tallant, auch sie errötet, biß sich auf die Lippen, machte kehrt, führte den Knaben zu einem Stuhl an der Wand und hieß ihn sich setzen und manierlich sein.
Lord Fleetwood musterte blinzelnd die Szene; Mr. Beaumaris zog zwar leicht die Brauen hoch, ließ aber sonst kein Erstaunen erraten, sondern beugte sich nur über Lady Bridlingtons Patschhändchen und sagte: »Wir stören doch nicht? Ich habe mir erlaubt vorzusprechen, weil ich Miss Tallant überreden wollte, mit mir in den Botanischen Garten zu fahren. Die Frühlingsblumen sollen wundervoll sein.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen«, sagte Arabella kurz, »aber ich habe heute morgen Wichtigeres zu tun.«
Lady Bridlington raffte sich zu einem Entschluß auf. »Mein Liebes, wir können das alles doch später bereden. Gewiß bekäme es dir gut, ein wenig an die Luft zu kommen. Du kannst diesen… dieses Kind einstweilen in die Küche hinunterschicken, und…«
»Danke, aber ich gehe nicht aus dem Hause, bevor ich nicht geklärt habe, was aus Jimmy werden soll.«
Lord Fleetwood, der Jimmy mit unverhohlener Neugierde betrachtet hatte, fragte: »Jimmy? Eh… wohl ein Freund von Ihnen, Miss Tallant?«
»Nein. Er ist ein Kaminfegerjunge und geriet irrtümlich durch den Kaminschacht in mein Schlafzimmer. Er ist schändlich gequält worden, und dabei ist er doch nur ein Kind, das sehen Sie wohl… höchstens sieben oder acht Jahre alt.«
Die Wärme ihres Gefühls ließ ihre Stimme hörbar zittern. Mr. Beaumaris betrachtete sie aufmerksam.
»Nein wirklich?« rief Lord Fleetwood teilnahmsvoll. »Das ist aber doch zu arg! Abscheuliche Burschen, manche von diesen Kaminfegern! Man müßte den Kerl ins Gefängnis schicken.«
»Ja«, antwortete Arabella impulsiv, »das gleiche habe ich Lord Bridlington gesagt, aber er scheint dafür nicht das geringste Verständnis aufzubringen.«
»Arabella!« mahnte Lady Bridlington. »Lord Fleetwood kann sich doch nicht für solche Dinge interessieren.«
»Und ob ich mich dafür interessiere! Ich interessiere mich für alles, was Miss Tallant am Herzen liegt! Sie haben sich also des Knaben angenommen? Auf mein Wort, ich finde das verdammt nett. Und
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