Die Bibel für Eilige
Geschäftsbeziehungen – auch die unsauberen – durcheinanderbringen. Law-and-Order-Ideologien führen stets
zu diktatorischen Maßnahmen; so werden sie vorsichtshalber ins Gefängnis geworfen. |194| Im Gefängnis beten und singen sie so, dass es die anderen Gefangenen hören.
»Plötzlich aber geschah ein großes Erdbeben, sodass die Grundmauern des Gefängnisses wankten. Und sogleich öffneten sich alle
Türen, und von allen fielen die Fessel ab.« (Apostelgeschichte 16,25–26)
Der Kerkermeister fährt aus dem Schlaf und sieht die Gefängnistore offen und will sich selber töten, denn er würde verantwortlich
gemacht werden, wenn die Gefangenen geflohen sind. Aber die Gefangenen haben das Gefängnis nicht verlassen. Es gibt eine andere
Freiheit als die, ein Gefängnis zu verlassen.
Um die Botschaft an den Kerkermeister geht es: Der Kerkermeister wäscht ihnen die Striemen ab, wird gläubig, lässt sich taufen.
Als den Behörden bekannt wird, dass sie einen schwerwiegenden juristischen Formfehler begangen haben, wollen sie die Sache
vertuschen und Paulus und Silas heimlich ziehen lassen; diese aber bestehen darauf, dass die Verantwortlichen selber kommen,
ihren Irrtum offenbaren und sie vor aller Augen freilassen.
Darauf folgt, nach der schmückenden Erzählung Lukas’ in Apostelgeschichte 17, die berühmteste und vielleicht folgenreichste
Geschichte: Paulus geht auf den Areopag – dort, wo die Gelehrten der damaligen Welt zusammentreffen und miteinander streiten
und um die Wahrheit ringen, insbesondere die beiden damals bestimmenden philosophischen Schulen der Epikuräer und der Stoiker,
aber auch Anhänger kleinerer und größerer Religionsgemeinschaften.
Auf dem Areopag sind sie alle versammelt, die Götterstatuen aller Glaubensrichtungen – und aus Angst,
ein
Gott könnte vergessen sein und dies den Menschen übel nehmen, haben sie »dem unbekannten Gott« auch noch einen Altar gebaut.
Das ist der Anknüpfungspunkt für Paulus: Dieser |195| euch unbekannte Gott – das ist der eigentliche Gott: Ursprung und Ziel aller Dinge, der Sehnsuchtsort all derer, die da suchen,
der aber keiner Statuen und keiner religiösen Riten bedarf. Paulus verfährt nach dem Muster »Anknüpfung und Widerspruch«.
Die Stoiker meinen, dass alle Menschen in Gott leben, weben und sind und dass wir Menschen göttlichen Geschlechts seien. Aber
das lässt sich – nach Paulus – nicht in Götterstatuen ausdrücken. Gott habe sich in einem Mann manifestiert, der auf Erden
gelebt hat, der gestorben und wieder auferstanden ist und der den Erdkreis richten werde mit Gerechtigkeit.
Zustimmung erntet er, Kopfschütteln – und Nachdenklichkeit. Einige sagen, sie wollten ihn noch ein anderes Mal hören. Diese
Bewährungsprobe des Paulus auf dem Areopag hatte Konsequenzen für das Christentum, das sich in den folgenden Jahrhunderten
dem Dialog mit der Philosophie und mit anderen Religionen stellte. Immer dann, wenn es den Dialog verweigerte, brannte die
Welt: Kreuzzüge, Reconquista, Scheiterhaufen, Dreißigjähriger Krieg. (Was heißt das heute im »Kampf der Kulturen« und bei
»enduring freedom«?)
Paulus hat als erster Christ mit seiner hellenistischen Bildung – aus jüdischer Tradition – gearbeitet, Argumentation und
Bekenntnis zusammengehalten, nicht bloß erwogen, sondern auch entschieden, aber vor der Entscheidung stand und steht das Erwägen.
Über allem bleibt das JA Gottes zum Menschen. In Christus. Unser Wort ist nicht ein JA und NEIN zugleich. Jesus war nicht
JA und NEIN, »sondern es war JA in ihm«, heißt es zu Beginn des 2. Korintherbriefes (2. Korinther 1,15–22).
Über eines kann man sich nicht genug wundern: Wie konnte einer, der nach der Kreuzigung Jesu zum Christen wurde, nicht nur
nachträglich in den Rang eines Apostels kommen, sondern mit seinen Briefen gar kanonischen Rang erlangen? Briefe wurden heilige
Schrift, Wort Gottes!
|196| Nicht einmal alle sind »echt«, sondern werden ihm zugeschrieben, bereits aus Verehrung für seine Person. Das als Fälschung
zu deuten wäre unangebracht, weil dies ein damals allgemein übliches Stilmittel war.
Die Evangelien wurden sämtlich erst nach dem Tode des Paulus schriftlich fixiert.
Sein erster Brief an die Thessalonicher stammt aus dem Jahre 51, die Evangelienberichte stammen erst aus den Jahren nach 70,
das Johannes-Evangelium entstand gar noch später.
Berufen worden ist Paulus etwa ein Jahr nach dem Tode
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