Die Bibel nach Biff
dozierten. Eben bist du noch neugierig, schon hält dir ein kahler Bursche ein blutiges Stück pulsierendes Fleisch unter die Nase, und du wunderst dich, wieso es in deiner Brustgegend plötzlich so zieht. Nein danke, so dringend wollten wir es nun doch nicht wissen.) Mittlerweile wurde Josua so geschickt darin, Schlägen auszuweichen, dass es schien, als wäre er schon wieder unsichtbar. Selbst den besten Kampfmönchen, zu denen ich nicht zählte, fiel es schwer, Hand an meinen Freund zu legen, und oft genug landeten sie nach ihren vergeblichen Bemühungen rücklings auf den Steinen. Josua schien mir während dieser Übungen am glücklichsten, und er lachte laut, wenn er knapp einem Schwerthieb auswich, der ihn das Auge gekostet hätte. Manchmal nahm er Nummer Drei den Speer weg, nur um sich zu verneigen und ihm die Waffe grinsend hinzuhalten, als wäre sie einem ergrauten, alten Soldaten heruntergefallen. Wurde Kaspar Zeuge einer solchen Vorführung, verließ er kopfschüttelnd den Hof und murmelte etwas von Ego, so dass wir anderen uns auf Kosten des Abtes vor Lachen bogen. Selbst Nummer Zwei und Drei, die gewöhnlich strenge Zuchtmeister waren, brachten es fertig, das eine oder andere Lächeln auf ihre zerfurchten Stirnen zu zaubern. Es war eine gute Zeit für Josua. Meditation, Gebet, Übungen und die Stunden mit dem Yeti schienen ihm geholfen zu haben, die ungeheure Bürde, die ihm aufgeladen war, abzulegen. Zum ersten Mal schien er mir wirklich glücklich. Umso erstaunter war ich an jenem Tage, als mein Freund den Klosterhof mit tränenbenetzten Wangen betrat. Ich ließ meinen Trainingsspeer fallen und lief ihm entgegen.
»Josua?«
»Er ist tot«, sagte Josua.
Ich umarmte ihn, und schluchzend brach er in meinen Armen
zusammen. Er trug wollene Hosen und Stiefel, und ich wusste sofort, dass er eben von einem Besuch aus den Bergen heimgekehrt war.
»Ein Eisbrocken hat sich über der Höhle gelöst. Ich habe ihn darunter gefunden. Erschlagen. Er war steif gefroren.«
»Also konntest du ihn nicht ...«
Josua schob mich von sich und hielt mich bei den Schultern.
»Genau das ist es. Ich war nicht rechtzeitig dort. Ich konnte ihn nicht retten. Ich war nicht mal da, um ihn zu trösten.«
»Doch, das warst du«, sagte ich.
Josua grub seine Finger in meine Schultern und schüttelte mich hysterisch. Er versuchte, mich zum Zuhören zu bewegen, dann ließ er mich plötzlich los und zuckte mit den Achseln.
»Ich geh zum Beten in den Tempel.«
»Ich komme bald zu dir. Fünfzehn und ich müssen noch drei Schrittfolgen üben.« Mein Sparringspartner wartete geduldig mit dem Speer in der Hand am Rand des Hofes und sah uns zu.
Josua hatte fast die Tür erreicht, als er sich umwandte.
»Kennst du den Unterschied zwischen Beten und Meditieren, Biff?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Beim Beten spricht man mit Gott. Meditieren heißt Lauschen. Ich habe in den letzten sechs Jahren fast nur gelauscht. Und weißt du, was ich gehört habe?«
Wieder sagte ich nichts.
»Rein gar nichts, Biff. Jetzt habe ich einiges zu sagen.«
»Das mit deinem Freund tut mir Leid«, sagte ich.
»Ich weiß.« Er wandte sich um und ging hinein.
»Josh«, rief ich. Er blieb stehen und sah mich über seine Schulter hinweg an.
»Ich werde nicht zulassen, dass dir das Gleiche geschieht, das weißt du, oder?«
»Ich weiß«, sagte er, dann ging er hinein, um seinem Vater ordentlich die Leviten zu lesen.
Am nächsten Morgen rief uns Kaspar in den Teeraum. Der Abt sah aus, als hätte er seit Tagen nicht geschlafen, und - so alt er auch sein mochte - aus seinen Augen sprachen hundert Jahre Kummer.
»Sitzen«, sagte er, und das taten wir. »Der alte Mann auf dem Berg ist tot.«
»Wer?«
»So habe ich den Yeti immer genannt: den alten Mann auf dem Berg. Er ist ins nächste Leben weitergezogen, und nun wird es Zeit für euch zu gehen.«
Josua sagte nichts, saß nur da, die Hände auf dem Schoß gefaltet, und starrte den Tisch an.
»Was hat das eine mit dem anderen zu tun?«, fragte ich. »Warum sollten wir gehen, wenn der Yeti gestorben ist? Wir wussten zwei Jahre lang nicht mal, dass es ihn gibt.«
»Aber ich«, sagte Kaspar.
Ich fühlte, wie mein Gesicht ganz heiß wurde. Sicher waren meine Kopfhaut und die Ohren rot, denn Kaspar sah mich verächtlich an. »Hier gibt es weiter nichts für euch. Für dich gab es hier von Anfang an nichts. Ich hätte dir gar nicht erlaubt zu bleiben, wenn du nicht Josuas Freund wärst.« Es war das erste
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