Die Bibliothek der Schatten Roman
während er die Tür abschloss.
»Ich glaube nicht, dass sonst noch wer kommt«, meinte er und wandte sich der Versammlung zu.
»Sie wissen alle, warum wir hier sind«, begann er laut. »Trotzdem will ich kurz zusammenfassen: Wir sind überzeugt davon, dass es eine Schattenorganisation von Lettori gibt, die für die Anschläge der letzten Zeit verantwortlich ist. Es deutet viel darauf hin, dass die gleiche Organisation auch hinter den Geschehnissen vor 20 Jahren stand, die zur Spaltung der Gesellschaft in Sender und Empfänger geführt haben. Wir haben überdies Grund zu der Annahme, dass ein gewisser Otto Remer eine führende Rolle in der Schattenorganisation innehat, und wir haben Beweise dafür, dass er Kortmann kennt.«
Ein Raunen ging durch die Versammlung. Iversen hob abwehrend die Hände. »Es ist nicht bekannt, wie ernst dieser Kontakt zu nehmen ist. Kortmann könnte nichts von Remers Aktivitäten wissen, und ebenso wenig ist sicher, ob Kortmann überhaupt ausgenutzt wurde.«
»Im schlimmsten Fall ist Kortmann Mitglied dieser Schattenorganisation«, warf Clara ein. »Aber bis auf Weiteres sollten wir ihn als ein Opfer betrachten.«
Katherina rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. Sie hatte Mühe, sich Kortmann als unschuldiges Opfer vorzustellen. Seine Haltung ihr und den anderen Empfängern gegenüber war durch und durch von Misstrauen und Arroganz geprägt. Er hatte jede Gelegenheit genutzt, die Kluft zwischen den zwei Gruppierungen zu vergrößern, und keinen Willen zur Versöhnung gezeigt. Sogar Luca, der nie schlecht über jemand redete, hatte sich über Kortmanns abweisende Attitüde geärgert.
»Kortmann glaubt nicht an die Existenz der Schattenorganisation«, fuhr Iversen fort. »Deshalb ist er heute Abend nicht hier. Wie schon vor 20 Jahren sieht er die Schuld für die Geschehnisse bei den Empfängern.« Er nickte der Gruppe der Empfänger zu, die murmelnd ihrem Unmut Ausdruck verlieh. »Das kann natürlich auch durch Starrköpfigkeit oder Eitelkeit bedingt sein. Sich einzugestehen, einen Fehler begangen zu
haben, bedeutet einen nicht unwesentlichen Gesichtsverlust, und wir, die wir Kortmann kennen, wissen, dass er so etwas um jeden Preis vermeiden möchte.«
Henning hob den Arm, und Iversen erteilte ihm das Wort.
»Egal, ob Kortmann ein Spitzel ist oder ein Opfer, das ohne sein Wissen von der Schattenorganisation ausgenutzt wird - es kann im Grunde genommen doch nur eines bedeuten.« Er machte eine dramatische Pause. »Dass sie dicht an ihn herangekommen sind. Dabei ist er ganz sicher derjenige von uns, der am besten abgeschirmt und geschützt wird. Mit Privatchauffeur und so weiter. Bedenkt man das, muss man sich doch die Frage stellen, ob auch noch andere von uns ein Teil dieses Komplotts sind, oder?«
»Das ist richtig«, räumte Iversen ein. »Es ist mehr als wahrscheinlich, dass einer oder mehrere der hier heute Anwesenden für die Schattenorganisation arbeiten. Entweder aktiv oder auch ohne es zu wissen.«
Henning schnitt eine Grimasse.
»Und wie schützen wir uns vor diesen Spionen?«, fragte er resigniert.
»Wir geben zu, dass wir auf diese Frage keine Antwort wissen«, antwortete Clara. »Ein Lügendetektor wäre vielleicht eine Möglichkeit, aber wenn der oder die Betreffende nicht einmal selbst weiß, dass er Informationen herausgibt, wäre auch das nutzlos. Die Schattenorganisation braucht im Grunde nicht mehr als einen Empfänger in der Nähe eines unserer Mitglieder, wenn die betreffende Person liest.«
»Vorausgesetzt, er oder sie konzentriert sich nicht richtig«, warf Iversen verdrießlich ein.
»Es kann jeden von uns treffen«, fuhr Clara fort. »Es kann ein Kollege sein, ein Nachbar oder ein Geliebter. Wir sind es nicht gewohnt, solche Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen. In dieser Hinsicht sind wir sehr verwundbar.«
Es begann eine längere Diskussion über die Möglichkeiten,
Spione in den eigenen Reihen auszumachen. Ein Teilnehmer schlug vor, Folter in Verbindung mit einem Wahrheitsserum anzuwenden, während ein anderer forderte, alle einen bestimmten Text lesen zu lassen, genau überwacht von einer Gruppe von Empfängern, die - jedenfalls theoretisch - widerstrebende und verräterische Gedanken bemerken würden.
Der Vorschlag wurde verworfen, als Katherina die Anwesenden darauf aufmerksam machte, dass Luca in der Lage gewesen war, sich derart zu konzentrieren, dass während des Lesens keiner seiner persönlichen Gedanken aufgefangen werden konnte. Außerdem würde
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