Die Bibliothek der Schatten Roman
Handy auf den Tisch. Auch wenn es nicht sein eigenes war, beruhigte es ihn ungemein, Teil einer modernen Kommunikationsgesellschaft zu sein. Ohne Handy wäre ihre kleine Überwachungsaktion nur schwerlich durchführbar gewesen. In diesem Augenblick wurde Remer vermutlich von Katherina und Henning verfolgt, und mit dem Handy konnten sie sich entweder bei ihm melden oder einem der anderen Wagenteams Bescheid geben, um die weitere Beschattung zu übernehmen. Zu Hennings Verdruss war es ihnen nicht erspart geblieben, sich als Amateurdetektive zu betätigen, auf eine praktikablere Lösung waren sie bei ihrem Treffen am Abend zuvor nicht gekommen. Zumindest waren sie damit nicht zur Untätigkeit verdammt und mussten nicht warten, bis Remer an einem der 20 in Frage kommenden Orte in Dänemark auftauchte.
Insgesamt waren vier Fahrzeuge im Einsatz, die jeweils von zwei Personen besetzt waren - einem Sender und einem Empfänger. Eine gute Methode, um das Eis zu brechen, meinte Iversen. Ganz davon abgesehen konnte es sehr nützlich sein, beide Fähigkeiten gebündelt zu haben, wenn Remer seinen Bestimmungsort erreicht hatte.
Jon nippte an seinem Bier. Noch vor einem Monat hätte er Remers Angebot durchaus in Erwägung gezogen. Als vielversprechender Anwalt am Beginn seiner Karriere hätte er keinen Augenblick gezögert, die Stelle zu wechseln, sofern er dadurch ein paar Sprossen auf der Karriereleiter nach oben klettern konnte. Es ging darum, von den Besten zu lernen und alle greifbaren Möglichkeiten auszuschöpfen, was manchmal auch bedeutete, sich gewisser Methoden zu bedienen, die manch einer sicher als moralisch verwerflich bezeichnen würde. Nicht alle Verteidiger besaßen die Kaltblütigkeit, die Verhandlungsfehler der Gegenseite auszunutzen, selbst dann nicht, wenn man dadurch einen Fall gewinnen oder zu einer vorgezogenen Einigung kommen konnte.
Jon schnitt eine Grimasse. Er war nicht mehr der Gleiche und konnte sich in diesem Augenblick ganz und gar nicht vorstellen, jemals wieder sein altes Leben aufzunehmen.
Sein Handy klingelte. Einer der Gäste an der Theke sah ihn vorwurfsvoll an, und Jon beeilte sich, das Gespräch anzunehmen.
»Katherina hier«, tönte es vom anderen Ende. »Wir sind jetzt auf der Østerbro, in der Nähe des Diplomatenviertels.« Sie wurde von Verkehrslärm übertönt. »Er scheint bald am Ziel zu sein…«
»Gut«, sagte Jon. »Glaubt ihr, er hat euch bemerkt?«
»Ich glaube nicht«, antwortete Katherina. »Wir haben ihn an der langen Leine gelassen und ein paar Mal die Wagen gewechselt.«
»Gut. Ich begebe mich zurück in den Laden. Ruf an, wenn er anhält.«
»Ach, übrigens«, fügte Katherina hinzu, ehe Jon auflegte. »Rate mal, was für einen Wagen er fährt?«
Er hatte keine Ahnung.
»Einen Landrover«, sagte sie.
Als Jon im Libri di Luca ankam, stand Paw vor der Tür und wartete. Er hatte die Hände tief in die Taschen geschoben und die Schultern fast bis zu den Ohren hochgezogen. Als Jon auf ihn zukam, wich er seinem Blick aus.
»Hallo, Meister«, sagte er mit einem verlegenen Lächeln.
»Hallo, Paw«, antwortete Jon neutral und stemmte die Hände in die Seiten. Was immer Paw wollte, Jon hatte nicht vor, es ihm leicht zu machen.
»Ihr habt aber früh geschlossen, was?«, meinte Paw und lachte abgehackt. »Was ist los? Habt ihr einen neuen Feiertag eingeführt oder was?«
»Iversen ist unterwegs«, erwiderte Jon knapp und zeigte mit einem Nicken auf das Geschlossen-Schild hinter der Türscheibe.
»Wann kommt er wieder?«, erkundigte sich Paw verdutzt. Er hatte offensichtlich nicht mit Jon gerechnet. Iversen verfolgte Remer durch die Stadt, und Jon konnte Paws Frage nicht beantworten, selbst wenn er es gewollt hätte.
»Was kann ich für dich tun?«, fragte er direkt.
Paw kniff die Augen zusammen und nickte in Richtung Tür.
»Wollen wir nicht reingehen?«
Jon nickte, schloss den Laden auf und ließ seinem Gast den Vortritt. Dann schloss er die Tür hinter ihnen, ohne das Schild umzudrehen.
»Weiß Kortmann, dass du hier bist?«, wollte Jon wissen, nachdem er abgeschlossen hatte.
Paw schüttelte den Kopf.
»Dieser Psychopath«, sagte er. »Der schwafelt nur davon, dass die Empfänger alles zerstört haben. Weil sie alle auf ihre Seite gezogen haben und so.«
»Ich dachte, das wäre auch deine Meinung«, sagte Jon und versuchte, Augenkontakt zu Paw zu bekommen.
»An die Geschichte von der Schattenorganisation glaub ich nach wie vor nicht«, unterstrich Paw.
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