Die Bibliothek der Schatten Roman
bekannteste Bibliothek der Welt gebaut; die Bibliotheca Alexandrina. Sie war nicht nur eine Bibliothek, sondern ein Mekka für wissenschaftliche Studien und intellektuelle Vertiefung. Viele der Menschen, denen wir heute die Ehre für die Gründung der Wissenschaften zuschreiben, studierten dort. Unter anderem Euklid, Heron und Archimedes.« Remer räusperte sich. »Die Sammlung der Pergamente und Kodizes wuchs stetig, da alle anlegenden Schiffe per Gesetz dazu verpflichtet waren, als eine Art Zoll eine Kopie aller Schriften zu hinterlassen, die sie an Bord hatten. Man geht davon aus, dass es bis zu 750.000 Bände gab, bis diverse Kriege, Plünderungen und Brände dem Schatz den Garaus machten. Aber für mehr als 700 Jahre war die Bibliotheca Alexandrina der Nabel der Welt für Literatur und Gelehrsamkeit.«
»Und sie ist abgebrannt?«, fragte Jon.
»Ja, mehrmals«, antwortete Remer und schlug den Blick nieder. »Das Sterben der Bibliothek zog sich über mehrere Jahrhunderte hin. Es setzte 48 vor Christus mit dem alexandrinischen Krieg ein, in den Cäsar persönlich verwickelt war wegen irgendeiner Unstimmigkeit mit Kleopatra. Damals zerstörte
das Feuer große Teile der Bibliothek, und viele Kodizes und Schriftrollen gingen verloren. Nach dem Untergang des Römischen Reiches und den Plünderungen der nachfolgenden Jahrhunderte blieb nichts mehr von der Bibliothek übrig.«
»Und in dieser Bibliothek entwickelten sich die Lettore-Fähigkeiten?«
Remer hob den Zeigefinger.
»Ich sagte, sie wurden dort entdeckt«, wies er Jon zurecht. »Die Fähigkeiten hat es schon immer gegeben, aber erst seit Demetrius wurden sie untersucht.«
Jon zog die Augenbrauen hoch. Der Name war ihm doch erst vor kurzem untergekommen.
»Das ist der Namensgeber für die Schule, in die Sie eingebrochen sind«, sagte Remer, als hätte er Jons Ratlosigkeit bemerkt. »Außerdem war er sozusagen der Art Director der ursprünglichen Bibliotheca Alexandrina und neben seinen Funktionen als Philosoph, Staatsmann und Berater aller Wahrscheinlichkeit nach auch der erste Chef-Bibliothekar.«
Jon dachte an das Treffen mit den Sendern in der Bibliothek in Østerbro, wo die Bibliothekarin - nicht ohne einen Anflug von Neid - von dem Einfluss erzählt hatte, den die Bibliothekare in der Antike genossen.
»Glücklicherweise war Demetrius ein vorsichtiger Mann«, fuhr Remer fort. »Ihm war schnell klar, worauf er da gestoßen war, und er hielt sein Wissen über die Fähigkeiten streng geheim. So wurde unsere Organisation ins Leben gerufen, damals als geheime Gesellschaft für besonders Eingeweihte, also diejenigen, die die Fähigkeiten besaßen und besonders einflussreiche Stellungen bekleideten. Zu dem Zeitpunkt und auch noch etliche Jahrhunderte danach gab es ein wahres Netzwerk aus mehr oder weniger geheimen religiösen und philosophischen Sekten in Alexandria. Die meisten Gelehrten waren Mitglieder in einer oder mehrerer Gesellschaften -
man könnte das fast als eine Art Modefimmel der Zeit bezeichnen -, und es war sicher nicht schwierig für Demetrius, die richtigen Personen zu rekrutieren.«
»Ist das hier eine Rekrutierung?«, fragte Jon und zerrte an den Riemen, mit denen er festgeschnallt war.
Remer zuckte mit den Schultern.
»Wir mussten sicherstellen, dass wir Ihre ganze Aufmerksamkeit haben«, stellte er nüchtern fest. »Demetrius hat vermutlich nicht zu solch drastischen Mitteln gegriffen. Er war ein angesehener Mann. Ich bin überzeugt, dass alle, die er einlud, sich geehrt fühlten und äußerst loyal waren.« Remers Blick drückte Enttäuschung aus. »Das sollten Sie auch, Campelli. Nicht viele Menschen werden für würdig befunden, in unsere Organisation aufgenommen zu werden.«
Jon wollte protestieren, aber Remer hob die Stimme und fiel ihm ins Wort.
»Aber ich bin überzeugt, dass Sie das Ganze bald mit unseren Augen sehen werden, nur Geduld.«
Jon zweifelte keine Sekunde daran, dass das eine Drohung war und kein Versprechen. Seine Gedanken wanderten zu Katherina. War sie auch in Alexandria? Wieso war Remer sich seiner Sache so sicher?
»Bei der endgültigen Zerstörung der Bibliothek verlor Alexandria seinen Status als Wissenszentrum. Da die Organisation davon abhängig war, dort zu sein, wo der Fortschritt stattfand, spaltete sie sich auf. Die Mitglieder zogen in die Welt hinaus und gründeten überall kleinere Einheiten.« Remer zog eine Augenbraue hoch und nickte Jon zu. »Ein paar von ihnen zogen nach Italien.«
Jon
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