Die Bibliothek der Schatten Roman
ihn und beeilte sich, die Tür hinter sich zu schließen.
»Schön, dich zu sehen«, sagte Iversen und stellte die Pizzaschachtel auf den Ladentisch, um Jon die Hand zu geben.
»Hallo Iversen«, grüßte Jon. »Ich hoffe, ich störe nicht?« Er deutete mit dem Kopf auf die Pizza. Der markante Duft von geschmolzenem Käse und Peperoni vertrieb den Geruch von Leder und Pergament für einen Moment.
»Ganz und gar nicht«, platzte Iversen heraus. »Aber ich hoffe, es stört dich nicht, wenn ich etwas esse. Die schmeckt warm am besten.«
»Ganz und gar nicht, lass dich nicht abhalten!«
Iversen lächelte dankbar.
»Lass uns nach unten gehen, da können wir ungestört reden«, bat er und nahm die Pizza.
»Katherina?«, rief Iversen, als sie an den Regalen entlang zur Wendeltreppe im hinteren Teil des Ladens gingen.
Die rothaarige Frau tauchte am Ende des Regals auf, als hätte sie dort auf sie gewartet. Sie war nur wenig kleiner als Jon und schlank, ohne abgemagert und kantig zu wirken. Die roten Haare rahmten ein blasses, schmales Gesicht mit dünnen Lippen ein. Ihre grünen, ernsten Augen betrachteten Jon, als müsse er sich verlaufen haben.
»Wir gehen nach unten in die Küche«, erklärte Iversen.
»Kümmerst du dich so lange um den Laden?« Die Frau nickte und zog sich wieder zurück.
»Deine Tochter?«, fragte Jon, als sie über die Wendeltreppe nach unten gingen, die bei jedem Schritt der beiden Männer laut knirschte.
»Katherina?«, sagte Iversen überrascht und lachte. »Nein, nein, sie gehört zu den Freunden des Antiquariats. In der letzten Zeit ist sie uns beiden alten Knackern wirklich eine unentbehrliche Hilfe geworden. Sie kümmert sich in der Regel um alles Praktische, Putzen und so.« Iversen blieb am Fuß der Treppe stehen. »Sie ist nicht gerade die beste Buchverkäuferin«, fügte er leise hinzu.
Jon nickte.
»Sie wirkt etwas schüchtern.«
Iversen zuckte mit den Schultern.
»Das ist nicht das Problem. Sie ist Legasthenikerin.«
»Geht denn das in einer Buchhandlung?«, erwiderte Jon überrascht und etwas zu laut. Dann fügte er flüsternd hinzu: »Das klingt nach einem Elefanten im Porzellanladen.«
»Kein böses Wort über Katherina«, antwortete Iversen ernsthaft. »Sie ist klüger als die meisten anderen. Das wirst du bald merken.«
Sie standen am Fuß der Treppe in einem schmalen, weiß gekalkten Flur, der von zwei Glühbirnen erhellt wurde. Auf beiden Seiten des Flures befanden sich Türöffnungen, von denen eine in die Küche führte. Der andere Raum lag im Dunkeln, aber Jon wusste, dass Luca ihn früher als Werkstatt genutzt hatte, in der er Bücher restaurierte und neu einband. Am Ende des Flurs befand sich eine schwere Eichentür.
Die Küche war klein und funktional. Ein stählernes Waschbecken, ein Hängeschrank, zwei Kochplatten, ein Kühlschrank und ein Tisch mit drei Klappstühlen. An den Wänden und Schranktüren hingen alte Buchumschläge und Illustrationen.
Iversen stellte die Pizza auf den Tisch, zog seine Jacke aus
und hängte sie an einen Haken an der Wand neben der Tür. Jon folgte seinem Beispiel.
»Ich liebe Pizza«, sagte Iversen und setzte sich an den Tisch. »Ich weiß ja, dass das eigentlich das Essen deiner Generation ist, aber es ist einfach so. Und das ist nicht einmal der Einfluss deines Vaters gewesen. Er verabscheute dänische Pizza.« Er lachte. »Das hat nichts mit echter Pizza zu tun, sagte er immer. Seiner Meinung nach haben sie viel zu viel Belag. Wie Butterbrot mit mehreren Lagen Aufschnitt.«
Jon nahm auf der anderen Seite Platz.
»Willst du auch etwas?«, bot Iversen an und hatte bereits den ersten Bissen im Mund.
Jon schüttelte den Kopf.
»Nein danke, in dieser Hinsicht teile ich Lucas Meinung.«
Iversen zuckte mit den Schultern und kaute weiter.
»Erzähl doch ein bisschen, was du in den letzten Jahren so gemacht hast, ich esse derweil.«
»Tja«, begann Jon. »Ich bin damals ja in eine Pflegefamilie gekommen, oben in Hillerød. Das war so weit in Ordnung, aber ein bisschen weit weg von der Stadt, so dass ich später, als ich an der Uni angefangen habe, zurück nach Kopenhagen gezogen bin. Damals habe ich in einem Wohnheim gewohnt. Ich habe das Studium nach der ersten Hälfte unterbrochen und ein Jahr als juristischer Assistent in Brüssel gearbeitet - das war so eine Art Praktikum, in dem ich wirklich viel gelernt habe. Zurück in Dänemark habe ich dann mein Jurastudium als einer der Besten meines Jahrgangs abgeschlossen, was mir
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