Die Bibliothek der Schatten Roman
Meter hohe Halle. Die Decke wurde von massiven Säulen aus hellem Sandstein getragen, die sich wie Holzstämme aus dem Boden bis zu den Metallstreben der Decke erstreckten. Jon spürte sofort die durchdringende
Energie im Raum. Sie unterschied sich sehr von der im Libri di Luca, war viel weniger aufdringlich, sondern wie selbstverständlich anwesend. Eine Art Hintergrundstrahlung, die alles umgab.
Mehr als 200 Menschen hatten sich in der Vorhalle versammelt. Sie alle trugen die weißen Gewänder, einige hatten die Kapuzen aufgesetzt, andere nicht. Sie standen in kleinen Grüppchen zusammen, und ihre Stimmen vermischten sich zu einem einzigen Summen, das die Halle erfüllte. Jon versuchte, die unterschiedlichen Sprachen der Anwesenden aufzuschnappen, doch als Remer und Jon zwischen den Gruppen hindurchschritten, verstummten die Gespräche, bis sie vorbei waren. Ein Raunen begleitete sie auf ihrem Weg.
Remer führte sie zu einer Gruppe von etwa zehn Personen, die alle auf Dänisch grüßten, als sie sich zu ihnen gesellten.
Remer präsentierte Jon der Gruppe, die er als inneren Kreis des dänischen Ordenszweiges vorstellte.
Alle Mitglieder der Gruppe hielten das gleiche Buch wie Jon in der Hand. Sie traten der Reihe nach vor und stellten sich mit einem persönlichen Willkommensgruß vor. Jon erwiderte höflich ihre Begrüßung, auch wenn er keinen von ihnen kannte. Ihrem Gesichtsausdruck und ihrem freundlichen Verhalten war aber zu entnehmen, dass alle ihn kannten.
»Die Zeremonie wird im Lesesaal stattfinden«, sagte Remer an Jon gewandt.
»Ein fantastischer Ort«, ergänzte einer der anderen, was die Umstehenden durch eifriges Nicken und zustimmende Kommentare bestätigten.
»Wie können Sie eine so große Veranstaltung geheim halten?«, fragte Jon und deutete mit der Hand auf die Menschenmenge, die sich in der Halle versammelt hatte. »Diskret ist das nicht gerade.«
Remer lachte. »Wohl wahr«, räumte er ein. »Aber wenn man etwas wirklich verstecken will, macht man es am besten
in aller Öffentlichkeit.« Er zwinkerte Jon zu. »Aber das heißt nicht, dass wir unser Vorhaben an die große Glocke hängen. Offiziell handelt es sich um eine Wohltätigkeitsveranstaltung. So stiften wir für die Arbeit der Bibliothek eine recht ansehnliche Summe. Wobei das im Grunde keine reine Spende ist, denn das Personal besteht ja schließlich aus unseren Leuten, die hier tagsüber arbeiten.«
In der Zwischenzeit trafen weitere Gruppen von Lettori ein, Jon schätzte die Zahl der Anwesenden inzwischen auf gut 300. Die meisten hatten jetzt ihre Kapuzen aufgesetzt, vermutlich eine Art Zeichen, dass sie bereit waren. Jon entgingen die erwartungsvollen Blicke nicht, die ihm zugeworfen wurden. Er schaute an die Decke zehn Meter über sich und hatte plötzlich das Gefühl, er würde diese Decke dort oben halten und nicht die massiven Säulen.
Katherina zitterte vor Nervosität. Sie stand etwas abseits vom Bibliothekseingang und beobachtete die nach und nach eintreffenden Teilnehmer. Zu ihrer Erleichterung stellte sie fest, dass viele von ihnen ihre Kapuzen aufhatten, so dass sie nicht weiter auffiel.
Henning und Muhammed hatten sie in sicherer Entfernung von der Bibliothek abgesetzt. Da sie weder Umhang noch Amulett besaßen, mussten sie sich einen anderen Weg in die Bibliothek suchen. Der Haupteingang war ihnen auf jeden Fall verwehrt, das wurde Katherina beim Anblick der beiden Wachen klar, die dort postiert waren. Obgleich sie Umhänge trugen wie alle anderen, sah sie, was für Muskelpakete das waren, und die Ausbuchtungen an ihren Hüften ließen auf Waffen schließen - richtige Waffen, keine Attrappe, wie Muhammed sie benutzt hatte, um Paw in Schach zu halten.
Sie hatten Paw gefesselt und geknebelt auf der Toilette seines Hotelzimmers zurückgelassen. Katherina sah darin die passende Strafe für ihn. Jeder Versuch, ihn aus dem Hotel zu
bringen, wäre zu risikoreich gewesen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er in seinem Hotelzimmer entdeckt wurde, bevor Katherina in der Bibliothek war, erachteten sie hingegen als gering. Paw hatte sich mit aller Macht zur Wehr gesetzt, als ihm endgültig klar wurde, dass er nicht rechtzeitig freikommen würde, um an der Reaktivierung teilzunehmen. Verzweiflung sprach aus seinen Augen, und er versuchte sich in wahnwitzigen Wutausbrüchen zu befreien. Das war für Katherina der letzte Beweis gewesen, dass die Ereignisse des Abends wirklich Bedeutung hatten und es sich nicht bloß um ein
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