Die Bibliothek der Schatten Roman
Glaser gerade mit dem Einsetzen der neuen Scheiben fertig geworden war. Nach
Tagen ohne natürliches Licht sah das Geschäft ganz verändert aus, als die Nachmittagssonne durch die neuen Fenster fiel. Säulen aus leuchtendem Staub wuchsen schräg aus dem Fußboden, und der Name des Antiquariats zeichnete sich in scharfen Schatten auf den Dielen ab.
Es war mitten am Nachmittag, und Jon erzählte ihr, er habe sich ein paar Tage freigenommen, was in seiner Kanzlei nicht gerade positiv aufgenommen worden war. Obgleich es den Mitarbeitern rein rechtlich zustand, schätzte man es gar nicht, wenn die Anwälte ihre Überstunden abfeierten. Überstunden wurden nicht als potenzielle Freizeit aufgefasst, sondern eher als eine Art Statussymbol, mit dem man prahlen und sein Martyrium betonen konnte.
Katherina hörte Jons Erzählungen von seiner Arbeitswelt schweigend zu, während sie zum Reichshospital fuhren. Jons Klagen endete erst, als sie am Ziel waren, und als der Motor verstummt war, blieb er zusammengesunken sitzen und schwieg. Er sah aus, als wäre er gerade aus einem Traum aufgewacht und bräuchte noch ein paar Minuten, um sich zu sammeln. Sie blieben einen Moment sitzen und starrten durch die Scheibe auf das graue Krankenhausgebäude, ehe sie ausstiegen.
»Er ist in ein Einzelzimmer verlegt worden«, erklärte ihnen die Krankenschwester am Empfang.
»Geht es ihm schlechter?«, erkundigte sich Katherina besorgt.
»Nein, nein«, beruhigte die Schwester. »Es geht ihm gut. Aber in Anbetracht seines Zustandes hielten wir es für besser, ihn in ein Einzelzimmer zu verlegen. Er hatte einen Schock, ist jetzt aber auf dem Wege der Besserung, besonders seit der junge Mann mit den Büchern hier war.« Sie lächelte.
»Paw?«, fragte Katherina.
»Seinen Namen habe ich nicht mitbekommen. Er war gestern
hier, ein Mann mit kurzen Haaren und diesen weiten Hosen, die jetzt so modern sind.«
Katherina nickte.
»Sie finden Svend Iversen im Zimmer 5-12«, sagte die Krankenschwester und deutete nach links. »Er ist jetzt allein.«
Sie bedankten sich und gingen in die angegebene Richtung.
»Wie aufmerksam von ihm«, bemerkte Jon leise.
»Ja, sieht Paw gar nicht ähnlich«, antwortete Katherina.
Vor Zimmer 5-12 blieben sie stehen, und Jon klopfte an. Als keine Antwort kam, klopfte er noch einmal, dieses Mal lauter. Katherina glaubte, von drinnen ein rhythmisches Klopfen zu hören, wie von Metallstäben, die aneinandergeschlagen wurden.
»Iversen?«, fragte Jon und öffnete langsam die Tür. »Wir sind es, Katherina und …«
Durch den Türspalt hatten sie freien Blick in das kleine Einzelzimmer, in dem gerade genug Platz für das Bett und ein paar Besucherstühle war. Die Gardine war zur Seite gezogen worden, und das Licht fiel auf das weiße Bettzeug, das sie fast blendete.
Im Bett saß Iversen, kerzengerade, die rechte Hand fest um das Bettgitter geklammert, das im Takt mit dem wilden Zittern seines Körpers klapperte. Er hatte Schaum vorm Mund, und ein beunruhigendes Zischen kam über seine Lippen, während ihm bei jedem seiner stoßweisen Atemzüge Speicheltropfen aus dem Mund spritzten. Doch noch beängstigender waren seine weit aufgerissenen Augen, die auf die Bettdecke starrten, ohne etwas zu sehen.
»Iversen«, schrie Katherina und stürzte zum Bett, gefolgt von Jon.
Erst jetzt bemerkten sie das aufgeschlagene Buch auf seinem Schoß. Seine linke Hand umklammerte den Einband. Jon griff nach dem Buch, doch Iversen hielt es so fest, dass er es ihm nicht aus der Hand reißen konnte. Iversens Körper zitterte
nur noch schlimmer, so dass Jon schließlich aufgeben musste. Resolut riss Jon das Kissen hinter Iversen weg und presste es auf das Buch, um Iversens Blick abzuschirmen.
Als hätten sie einen Stecker gezogen, verebbte das Zittern. Iversens Augen schlossen sich langsam, und der alte Körper kippte nach hinten. Sein Atem ging noch immer schnell und unregelmäßig, aber das beängstigende Zischen war verschwunden.
»Hol eine Krankenschwester«, bat Jon, während er Iversen das Buch aus der Hand wand und das Kissen wegnahm.
Katherina rannte über den Flur ins Schwesternzimmer, das plötzlich sehr weit entfernt schien.
»Hilfe«, schrie sie, so laut sie konnte. Ihr Hals war wie zugeschnürt, und sie bekam kaum Luft. Als eine Schwester zum Vorschein kam, rief sie noch einmal und winkte sie zu sich.
»Iversen«, keuchte sie und deutete hinter sich. »Jemand hat ihn … Er hatte einen Anfall.«
Die Schwester lief
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