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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Heerführer mit seiner Bestechlichkeit nicht aufhört, soll man ihn in Ketten legen und nach Moskau bringen, vors Kriminalgericht . . .‹ Bist du mitgekommen? Schreib weiter: ›Außerdem sagte der große Herrscher, und die Bojaren beschlossen . . .‹«
    Jemand diktierte einem Schreiber den Text eines offiziellen Schriftstücks, und hier unter dem Palast zwar jedes Wort zu hören.
    Obwohl er weiterhin den Boden mit dem Degen abklopfte, beschleunigte Cornelius seinen Schritt. Einige Ausbuchtungen des Geheimgangs schwiegen, andere unterhielten sich, lachten, beteten. Man konnte jedes Wort hören, selbst wenn geflüstert wurde.
    Damit war nun der Sinn des Labyrinthes klar. Es war keineswegs aufs Geratewohl, sondern mit einem ganz bewussten Ziel angelegt worden: Jedes Zimmer des Zarenpalastes sollte von unten abgehört werden können. Wer sich diese verzwickte Konstruktion ausgedacht hatte, wusste Cornelius nicht – aber wie die Schinken, der ungarische Wein und die Zobelpelze wurde auch diese Vorsorgemaßnahme nicht genutzt. Nach der dicken Staubschicht zu urteilen, die sich auf dem Steinboden angesammelt hatte, war hier schon seit langer Zeit keiner mehr durchgegangen und hatte die Palastbewohner belauscht.
    In der Stunde, die er im Keller umherstreifte, bekam von Dorn alles Mögliche zu hören. Doch an der Stelle, wo der Durchgang sich plötzlich gabelte, erklang von oben eine Stimme, die den Musketier wie angewurzelt stehen bleiben ließ; er hörte sogar auf, die Steintafeln abzuklopfen.
    »Hier, schon wieder klopft jemand mit einem Eisen«, erklang eine heisere, salbungsvolle Tenorstimme ängstlich, »hast du Tölpel das gehört?«
    »Das ist ja nicht zu überhören, mein Väterchen Zar, kluges Katerchen, ja klar«, kam aus dem Stegreif ein Reim von einer Fistelstimme – mit der sprach im Palast nur der Lieblingsnarr des Zaren, der bucklige Balthasar. »Das ist die Hexe, die Echse. Gehupft wie gesprungen vom Tritt auf die Stange. Gleich kommt sie: ein Schritt, und sie kitzelt dich bange.«
    Seine Majestät, der Herrscher höchstpersönlich! Seine Gemächer sind also ebenfalls mit einer geheimen Abhörmöglichkeit ausgerüstet! So ein Ding!
    »Von wegen eine Hexe, du lügst! Vertrauenswürdige Leute haben mir gesagt, dass schon seit mehr als einer Woche im Palast mal da, mal hier jemand mit einem Eisen klopft: Peng, peng. Das ist entsetzlich! Ich weiß, wer das ist, ich weiß! Das ist der Eiserne Mann, der mich holen kommt, er ruft mich in die kühle Erde. Zu meinem Vater kam er ebenfalls vor seinem Tod.«
    »Um Gottes willen, mein Herrscher«, sagte der Narr ernst. »Du solltest weniger auf die Ammen und auf böse Zungen hören. Was für ein Eiserner Mann denn?«
    »Ich weiß schon, was für einer«, antwortete Alexej Michailowitsch flüsternd (es war trotzdem jedes Wort zu hören). »Er. Der kleine Worjonok ist jetzt ein erwachsener Mann und will uns Romanows ausrotten, sich für seine zerstörte Kindheit rächen. Wer ihn gesehen hat, den Bösen, sagt: sein Gesicht ist weißer als Kreide, die ganze Brust dagegen aus Eisen. Wie entsetzlich, o Gott!«
    In diesem Augenblick streifte Cornelius, als er sich umdrehte, mit der Scheide seines Degens einen Stein, und der Zar schrie auf:
    »Da, schon wieder dieses Scheppern! Herrgott, soll ich wirklich schon ins Grab? Kann ich nicht noch ein bisschen leben, nein, o Gott?«
    Der Hauptmann zog sich auf Zehenspitzen aus der gefährlichen Ausbuchtung zurück und beschloss, nächstes Mal weiterzugehen.
    Am nächsten Tag fragte er Adam Walser, als er in der Vorstadt war, was es mit Worjonok auf sich habe und warum der Zar ihn fürchte.
    »Das ist der dreijährige Sohn des falschen Demetrius und der polnischen Schönheit Maryna Mniszech«, erklärte der gelehrte Apotheker. »Damit der Junge, wenn er erwachsen ist, nicht Anspruch auf den Thron erhebt, hängten die Romanows ihn auf. Der Henker trug den Kleinen, der in einen Pelz eingewickelt war, zum Galgen, steckte sein Köpfchen in die Schlinge und erwürgte ihn so. Viele sagten, dass nach einer solchen Gräueltat der neuen Dynastie kein Glück beschieden sei, kaum einer der Romanows eines natürlichen Todes sterben werde und sie so enden würden, wie sie angefangen haben: Übeltäter würden mit ihren kleinen Kindern dasselbe machen, was sie Worjonok angetan haben. Das ist natürlich Aberglaube und Unsinn, aber ich rate Euch, macht Euch diese Legende zu Nutze. Wenn Ihr das nächste Mal durch den Keller streift, setzt Euch eine

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