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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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die pechschwarze Finsternis. Vom Laufen war die Kerze erloschen, sie wieder anzuzünden, dazu hatte er zu viel Angst.
    Er blieb mit dem Fuß an einem Stein hängen und fiel mit einem Scheppern auf irgendwelche Stufen. Ob die da hinten was gehört hatten?
    »Jungens! Da, der Krach! Dahin!«
    Sie hatten es gehört!
    Cornelius stieg mit Händen und Füßen schleunigst eine dunkle Treppe hoch. Es wurde enger, seine Schultern kamen schon ratschend an beide Wände.
    Der Hauptmann stieß mit seinem Helm gegen einen Stein. War hier das Ende? Nein, der nächste Treppenlauf fing an, er musste sich drehen.
    Noch vierzehn Stufen, dann kam eine Eisentür. Sie war zugesperrt; sie einzuschlagen, hatte er keine Zeit.
    Wieder ein neuer Treppenlauf, wieder eine Tür. Wieder war sie zugesperrt.
    Höher, höher. Schneller!
    Die Stufen endeten. Weiter ging es nicht. Die Palastwächter waren noch nicht bei der Treppe angekommen, mussten aber bald da sein.
    Ende, aus.
    Er hetzte auf dem engen Podest hin und her und tastete hilflos die Wände ab. Seine Finger stießen an einen kleinen, aus der Wand ragenden Bolzen. Plötzlich knarzte und ächzte etwas, die Wand glitt auf einmal zur Seite, und aus der Öffnung strömte ein weiches, strahlendes Licht.
    Ohne über den Sinn und die Natur des Wunders nachzudenken, stürmte Cornelius vorwärts. Raste durch ein Zimmer mit einem kleinen Sitz (ein Klo vielleicht?), dann durch einen größeren Raum mit einem Samtbaldachin über einem Riesenbett und landete in einem Betzimmer.
    Jede Menge Ikonen, brennende Kerzen auf vergoldeten Ständern, und vor dem reich verzierten und mit Edelsteinen besetzten Kruzifix kniete ein bärtiger Mann im weißen Hemd und verneigte sich bis zum Boden.
    Er hatte das Eisengepolter gehört und mitten im Gebet innegehalten. Der Hauptmann blickte in ein vom Entsetzen verzerrtes Gesicht mit glotzenden Augen und Pausbacken.
    »Worjonok«, krächzte Zar Alexander Michailowitsch. »Du kommst mich holen!«
    Der Zar fasste sich mit seiner weichen, beringten Hand an die Kehle, gab einen Schmatzer von sich, und den dicken Lippen entfloh kein Krächzen mehr, sondern nur noch ein schweres Röcheln.
    So ein Pech, da hatte er mit seinem plötzlichen Auftauchen doch tatsächlich Seine Majestät den Zaren erschreckt! Wie hätte er denn auf die Idee kommen sollen, dass der Geheimgang zur Wohnung des Zaren führen könnte?
    Cornelius stürzte zu dem Monarchen und stammelte vor Schreck auf Deutsch:
    »Majestät! Ich . . .«
    Alexej Michailowitsch schluckte, als er in das hinter dem weißen Tuch mit den zwei Schlitzen verborgene Gesicht sah, und sackte sacht zur Seite.
    Was für ein Unglück! Schnell, einen Arzt!
    Der Hauptmann verließ das Betzimmer und lief in den Vorraum, wobei er sich unterwegs die Maske vom Gesicht riss. Jemand klopfte hastig an die Tür – Cornelius versteckte sich hinter einem Vorhang. Es wurde wieder geklopft, diesmal hartnäckiger, und ohne die Antwort abzuwarten, traten sie ein: drei Männer in weißen silberbestickten Kaftanen – das waren die Kammerherrn, hinter denen weitere Adelige eintraten, einige nur in Unterkleidern.
    »Herr!«, schossen sie gleich los. »Ein Verbrecher ist in den Palast eingedrungen! Wir kommen, um Eure Majestät den Zaren zu beschützen!«
    Das ganze Vorzimmer war voll von Beschützern – es gab viele, die sich vor dem Zaren auszeichnen wollten. Als der Hauptmann hinter dem Vorhang hervortrat, würdigte ihn keiner eines Blickes.
    In der Halle stürzte Bersenew, der Kommandeur der Palastwache, auf Cornelius zu und rief:
    »Was machst du denn hier? Hier sind schon genug Helfer! Geh zu deinen Musketieren, Hauptmann! Du musst den Palast von außen bewachen! Dass dir auch nicht die kleinste Maus durch die Lappen geht!«
    Das musste man von Dorn nicht zweimal sagen! Er machte eine Verbeugung vor dem Beamten und lief in geschäftigem Trab nach unten, um die Wachen zu kontrollieren.
    ***
    Er wartete ungeduldig, bis die Lanzenträger endlich kamen und an Stelle der Musketiere die Wache übernahmen. Jetzt hatte er Artamon Sergejewitsch aber was zu erzählen! Natürlich nicht gerade die Tatsache, dass er aus Versehen in das Zarengemach hereingeschneit war, das musste der Bojar ja nicht unbedingt wissen, sondern von Galizki und dessen Arglist. Da habt Ihr vielleicht einen schönen Bräutigam angelockt, Exzellenz!
    Aber der Kanzler war nicht zu Hause – im Morgengrauen war ein Kurier vom Palast angelaufen gekommen, der Artamon Sergejewitsch in einer

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