Die Bibliothek des Zaren
ging in die hinterste Ecke, beugte sich über eine der Steintafeln am Fußboden, lockerte sie ein wenig mit einem Messer und hob sie dann mit etwas Kraftaufwand hoch. Die Tafel war dünn und nicht schwer – der schwache Walser konnte sie alleine beiseite stellen.
»Seht Ihr, hier ist noch eine Steintafel, mit einem Ring. Zieht sie raus.«
Unter der zweiten Tafel gähnte ein schwarzes Loch. Walser nahm einen Kandelaber mit drei Kerzen und beleuchtete eine Leiter, die nach unten führte.
»Geht Ihr zuerst, ich folge Euch.«
Cornelius hielt den Degen fest und kroch durch die Luke. Das Loch war nicht sehr tief, nach nicht mehr als zehn Fuß stießen die Absätze des Hauptmanns auf Erdboden. Ächzend kam der Apotheker von oben hinterher.
»Ich habe mir hier ein geheimes Labor eingerichtet«, erklärte er und hob den Kandelaber in die Höhe. »Es ist sicherer, wenn man einige Versuche möglichst weit entfernt von Zeugen anstellt. Zum Beispiel die Gewinnung des Steins der Weisen.«
Licht fiel auf einen Tisch mit irgendwelchen Fläschchen und Röhrchen und einen groben Holzstuhl.
»Guckt mal hier.«
Walser blieb genau in der Mitte des kleinen Gewölbes stehen, hockte sich hin und scharrte die Erde ein wenig auf. Der hölzerne, metallbeschlagene Deckel einer großen Truhe zeigte sich. Der Apotheker fasste sie mit beiden Händen am Griff und warf den Deckel nach hinten. Das Innere war leer.
»Das ist ein so genannter ›Altyn-Tolobas‹, eine Truhe, die mit einer bestimmten Lösung imprägniert ist, die Feuchtigkeit abstößt. In den Zeiten, als die Tataren über Moskowien herrschten, transportierten die Baskaken, das sind die Statthalter des Chans, in solchen Tolobassen den eingetriebenen Tribut: Gold, Silber und Zobelfelle. Schriftstücke kann man hier meinetwegen tausend Jahre aufbewahren, es geschieht ihnen nichts. Und kein Mensch wird sie finden. Hauptsache: Lasst Euch nicht erwischen, wenn Ihr die Bücher aus dem Kreml schafft.«
***
In die Kellerräume des Palastes vorzudringen, war noch leichter, als Cornelius gedacht hatte. Als die Musketiere die Wache antraten (in aller Herrgottsfrühe, noch vor dem Morgengrauen), räumte der Hauptmann einen Teil des schneebedeckten Holzstoßes weg und ließ hinter ihm einen schmalen Durchgang zu der verrosteten Eisentür frei. Er öffnete das Schloss mit einem Dolch und ölte die Türangeln. Als er dann die Wachposten inspiziert hatte, kehrte er an den Ort zurück und kroch ins Innere.
Da wurde ebenfalls Brennholz aufbewahrt – und zwar schon länger als ein Jahr, denn oben waren die Scheite von Spinnweben überzogen. »Typisch russisch«, dachte von Dorn, der sich mit einer Kerze einen Weg an der Wand entlang bahnte, »mehr Vorräte als nötig anzulegen und dann alles liegen lassen, auf dass es verfaule.«
Am hinteren Ende tauchte noch eine Tür auf, die der ersten aufs Haar glich, nur brauchte er sich mit dem Schloss nicht abzuquälen. Es war so stark verrostet, dass er nur einmal mit der Klinge daran zu drehen brauchte, da ging es schon auf. Im nächsten Keller verschlug einem der Gestank von Verfaultem den Atem. Hier wurden geräucherte Schinken aufbewahrt, die verschimmelt und von Ratten angefressen waren. Er ließ den übel riechenden Raum so schnell wie möglich hinter sich und betrat den nächsten, leeren. Von da gingen zwei Türen ab: eine nach links zu einer schmalen Galerie, die andere nach rechts zu einer ganzen Reihe niedriger Kellergewölbe. Cornelius warf einen Blick in beide Richtungen, ging dann aber nicht weiter. Für das erste Mal reichte das.
Die Kompanie trat den Wachdienst im Kreml jeden vierten Tag an, so dass er die Suche erst am 9. Januar fortsetzen konnte. An diesem Tag inspizierte Cornelius die Reihe niedriger Kellergewölbe und klopfte sorgfältig jeden Arschin des Bodens ab. Bis zum Ende der Wache suchte er vier Mal den Keller auf. Er ging durch zwei große Räume und eine kleine Kammer. Umsonst, die Fußböden klangen dumpf.
Er setzte die Suche am 13. fort und kam ans Ende der Reihe von Gewölben, das heißt an die nördlichste Stelle des Kellers. Wieder nichts, wenn man von den Weinfässern absah. Cornelius wollte ein wenig in seine Feldflasche abfüllen. Er probierte: ungarischer Wein, er war sauer geworden. Ach, wie viel Gut hier doch verkam!
An den Tagen zwischen den Wachen diente er bei Artamon Sergejewitsch und lief außerdem noch zu Walser in die Vorstadt. Es blieb ihm fast keine Zeit, um zu schlafen, aber er hatte irgendwie
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