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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Maske aus weißem Gewebe auf. Durch den Kürass ist Eure Brust ja sowieso eisern. Wenn Euch jemand sieht, wird er denken, Ihr wäret der Eiserne Mann.«
    Am 25. Januar glückte es ihm nicht, in den Keller zu gelangen, weil der Zar eine Wallfahrt ins Neue Kloster des Erlösers unternahm und dort die ganze Nacht hindurch betete. Aus diesem Anlass hielten Matfejews Musketiere nicht im Kreml Wache, sondern zündeten um die Klostermauern herum Feuer an (in der Nacht herrschte Frost), und als der Zug des Zaren heimkehrte, bildeten sie eine Postenkette entlang der Steinernen Vorstadt.
    Am Vortag hatte Cornelius ein kurzes und nicht besonders klares Gespräch mit Alexandra Artamonowna. Er war auf das Fräulein gestoßen, als er von dem Bojaren kam (sie waren nach Kukuj, zu General Bauman gefahren, der Namenstag hatte). Saschenka hatte im Empfangszimmer gestanden, als ob sie auf jemand warte. Doch wohl nicht auf Cornelius?
    Als sie von Dorn erblickte, hatte sie auf einmal gefragt:
    »Kornej, du läufst doch nicht vor mir weg? Habe ich dich vielleicht irgendwie beleidigt? Wir sind schon so lange nicht mehr nach Sokolniki gefahren.«
    Ihr direkter, gar nicht mädchenhafter Blick verwirrte den Hauptmann so, dass er nicht wusste, was er antworten sollte. Er brummte etwas von Dienst, dass er viel zu tun habe.
    »Na gut, du musst es ja wissen, bitten werd ich dich nicht«, hatte ihm Saschenka das Wort abgeschnitten, sich auf dem Absatz umgedreht und war gegangen.
    Cornelius verstand absolut nicht, womit er ihren Zorn erregt hatte. Das Gespräch hatte in Gegenwart von Iwan Artamonowitsch stattgefunden – dieser hatte nur den Kopf geschüttelt, aber nichts gesagt.
    Am 29. Januar setzte von Dorn seine Suche dort, wo der Gang sich gabelte, weiter fort. Es war spät, schon Nacht, und die Stimme des Zaren war Gott sei Dank nicht zu hören. Für alle Fälle hatte der Hauptmann den Rat des Apothekers befolgt und sein Gesicht unter einem weißen Tuch mit Löchern für die Augen versteckt, obwohl fraglich war, wen er eigentlich hier unter dem Palast treffen sollte. Allenfalls einen aus dem Gesinde, der durch die verwaisten Keller streifte und schaute, ob er etwas mitgehen lassen kann.
    Wegen der nächtlichen Stunde wurde in den Zimmern nicht gesprochen, nur aus einigen Abhörlöchern drang ein Schnarchen. Tuck-tuck, tuck-tuck klopfte die Scheide des Degens gegen die Steintafeln, aber es klang dumpf.
    Nach einer Biegung hörte man von oben auf einmal eine leise Stimme, die hauchte:
    »Mein Liebster, Herzallerliebster, was du nur willst, mach ich für dich . . . Komm, komm her, die Nacht ist noch lang.«
    Ein Liebespaar! So etwas hörte Cornelius in dem langweiligen Zarenpalast zum ersten Mal. Er spitzte die Ohren. Offenbar handelte es sich um heimliche Liebe, was sonst? Außer dem Zaren und der Zarin gab es keine verheirateten Paare im Palast.
    »Warte, Prinzessin«, antwortete eine Männerstimme, die er kannte. »Wir haben noch genug Zeit für die Liebe. Lass uns erst diese Frage klären.«
    Galizki! Wer spricht sonst noch so schillernd, als ob er Edelsteine in der Samttasche hin und her rollt. Prinzessin? Welche der sechs Töchter ist es?
    »Matfejew ist nicht aufzuhalten, er setzt den Zaren zunehmend unter Druck«, fuhr die Stimme fort. »Ich bin sehr viel bei ihm und kenne den alten Hasen in – und auswendig. Er glaubt, ich würde um die Hand seiner schwindsüchtigen Tochter anhalten wollen, er betrachtet mich fast schon als seinen Schwiegersohn, das verbirgt er nicht. Er will den Zaren dazu bringen, nicht Fjodor oder Iwan, sondern Pjotr zu seinem Thronfolger zu ernennen. Mit dem Argument, die Söhne der Miloslawskaja seien kränklich und unfähig, während der kleine Wolf der Naryschkina kräftig und wendig sei. Artamoschka will in der Butterwoche, wenn wir nach Kolomenskoje fahren, mit dem Zaren darüber reden. Du kennst ja deinen Vater – Matfejew wickelt ihn um den Finger. Du weißt ja selber, was passiert, wenn wir das nicht verhindern, Sofja.«
    Sofja? Galizki war also im Schlafgemach der Zarentochter Sofja! Ach, du gerissener Fuchs, ach, du Intrigant! Der Kanzler heißt bei dir »Artamoschka« und Saschenka ist »schwindsüchtig«? Warte, mein lieber Fürst, das wird dich teuer zu stehen kommen!
    Vor Empörung (aber auch Freude, das lässt sich nicht bestreiten) stieß von Dorn mit seiner eisernen Armschiene an die Wand, was ein lautes und dröhnendes Geräusch machte.
    »Was ist das?«, schrie Sofja aufgeschreckt. »Wie Eisen,

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