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Die Bibliothek des Zaren

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Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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das scheppert. Vielleicht ist das wirklich der Eiserne Mann, von dem die Mädchen erzählen. Hast du das gehört, Wassili?«
    »Das ist ja wohl nicht zu überhören.« Wassili Wassiljewitschs Stimme wurde schneidend. »Den Eisernen Mann gibt es nicht. Da belauscht uns beide jemand. Das Dröhnen kam von dort, wo das Gitter oben an der Decke ist. Was soll es da eigentlich?«
    »Ich weiß nicht, Wassili. In allen Zimmern gibt es solch ein Gitter. Wahrscheinlich, damit die Luft zirkulieren kann.«
    »Das wollen wir mal sehen.«
    Es war ein Gepolter zu hören, als ob eine Bank oder ein Stuhl über den Boden gezogen wird, dann ein ohrenbetäubendes Klirren, wonach die Stimme des Fürsten plötzlich lauter wurde, so dass es schien, Galizki brülle direkt in Cornelius‘ Ohr.
    »Aha, da ist ein richtiger Einstieg. Ein Steinrohr, das schräg nach unten führt. Komm, Prinzessin, ruf die Leute zusammen. Damit sie klären, was es damit auf sich hat.«
    Man hörte ein Schaben am Loch, Kalkbrocken rieselten herunter – offenbar scharrte der Fürst mit der Hand oder kratzte mit dem Dolch daran herum.
    »He, wer ist da! Wache, herkommen!«, hörte man von weitem die gebieterische Stimme der Zarentochter.
    »Warte, mach nicht gleich auf«, flüsterte Wassili Wassiljewitsch. »Ich verschwinde durch diese Tür . . . Gib mir die Stiefel und den Gürtel. Da, unter der Bank. Leb wohl, liebe Sofja.«
    Cornelius zögerte und wartete, was kommt. Vor den adligen Männern von der Palastwache hatte er keine Angst – wie sollten sie ihm vom zweiten Stock aus, wo die Räume der Zarentochter lagen, etwas anhaben können?
    Absätze polterten, in Sofjas Schlafgemach kamen fünf oder mehr Männer gelaufen.
    »Ihr bekommt hier euer Brot nicht umsonst!«, brüllte die Prinzessin drohend. »Da will jemand über die Tochter des Zaren herfallen und belauscht sie durch ein geheimes Rohr. Du da mit den roten Haaren, kriech da hinein und fass den Dieb!«
    Schritte über das Parkett waren zu hören und ein ängstlicher Bass, der sagte:
    »Prinzessin, da drin ist es eng und dunkel, und es geht steil nach unten. Was, wenn ich mir das Genick breche?«
    Sofja sagte:
    »Such dir aus, was dir lieber ist. Wenn du da hineingehst, brichst du dir entweder das Genick oder bleibt heil. Wenn du nicht gehst, sag ich meinem Vater, dass man dich nichtsnutzigen Knecht wegen Unbotmäßigkeit hängen soll. Also, bitte?«
    »Ich gehe ja schon, Prinzessin, ja.« Ein Schaben und Scharren ertönte. »Ach, schütze mich, Mutter Gottes!«
    In dem Steinrohr lärmte es, ein Aufheulen war zu hören, und von Dorn wurde klar: Ihm würde gleich einer der Kreml-Wächter auf den Kopf fallen. Von wegen zweiter Stock!
    Er schaffte es gerade noch, um die Ecke zu springen, da krachte es auch schon im Keller, und sogleich erklang eine frohlockende Stimme:
    »Ich lebe! Jungs, ich lebe!«
    Diese Nachricht erfreute den Hauptmann keineswegs, vor allem, da nach dem frohen Ausruf ein anderer, bedrohlicher Ton zu hören war:
    »Los, mir nach! Es passiert euch nichts, es ist nicht steil!«
    Alle Vorsicht außer Acht lassend, rannte der Musketier, so schnell er konnte, zurück. Während er alle Schleifen und Kurven ablief, drangen aus den aufgewachten Abhörlöchern Klagen und Schreie. Eine kreischende Frauenstimme:
    »Im Palast sind Räuber! Sie bringen uns alle um!!!«
    Eine neugierige Kinderstimme:
    »Es brennt, ja? Es brennt? Verbrennen wir jetzt alle?«
    Die tiefe Stimme eines Vorgesetzten: »Musketiere, Stellung beziehen an den Mauern, auf die Fenster achten, auf die Kellertüren!«
    Was für ein Unglück! Jetzt kommst du aus dem Kellergewölbe nicht mehr raus, die eigenen Soldaten schnappen dich.
    Hinten polterten die Stiefel der Palastwache, schon ganz dicht. Wenn sie dich schnappen, kommst du auf die Folterbank, damit sie rauskriegen, für wen du spioniert hast. Das Schlimmste ist, dass ohnehin klar ist, für wen; schließlich gehört er zu den Mannen von Matfejew. Da werden sich Artamon Sergejewitschs Feinde, die Miloslawskis und Galizki, ja die Hände reiben!
    Zu dem Ausgang mit dem Brennholz zu rennen ging nicht – an der Tür standen sicher schon welche. Nichts zu machen, er nahm an der Gabelung die andere Richtung, lief in einen schmalen Durchgang, den er vorher noch nicht erkundet hatte. Wirklich, er hatte nichts mehr zu verlieren.
    Die Stiefel der Kreml-Wächter polterten nun in weiterer Entfernung, das war doch schon was. Von Dorn hielt den Degen fest und ging auf Zehenspitzen durch

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