Die Bibliothek des Zaren
auch keine Lust dazu. Wenn Cornelius für kurze Zeit einschlummerte, in irgendeiner Ecke, auf einer Bank, manchmal auch im Schlitten, träumte er von den feuerroten Karfunkeln des Landes Wuth und vom Land Wuth selbst: wie es dalag, von heller Sonne überflutet, mit bizarren Türmen und duftenden Gärten. Saschenka sah der Hauptmann nur selten. Er prüfte seine Einhorn-Zähne in ihrer Gegenwart, indem er von einem Ohr zum anderen lächelte. Es schien zu wirken. Das Fräulein blickte den grinsenden Musketier verwundert und ein wenig besorgt an. Na warte, wenn die Liberey erst in den Altyn-Tolobas umgezogen sein wird, dann werden wir ja sehen, wer der beneidenswerte Bräutigam ist: Fürst Galizki oder jemand anders.
Am 17. Januar ging von Dorn vom dritten Keller nach links in die Galerie. Er klopfte jetzt nicht nur den Boden, sondern auch die Wände ab. Und? Schon bei dem ersten Versuch klang die Wand rechts hallend: Cornelius griff sich ans Herz. Konnte das wahr sein? Er legte das Ohr an die Wand und klopfte sie nun mit dem Griff des Dolches ab, wie es sich gehörte, mit voller Kraft. Kein Zweifel: ein Hohlraum!
Er ging nach draußen, die Wachposten kontrollieren, nahm eine Brechstange vom Holzstoß und kehrte an die Stelle seiner Wünsche zurück. Nachdem er ein Gebet gesprochen und in die Hände gespuckt hatte, schlug er mit der Eisenstange gegen die Wand. Es entstand sofort ein Loch, aus dem Modergeruch drang. Er drückte ein Auge an die Öffnung; es war zu dunkel, man konnte nichts erkennen. Da holte er so schwungvoll mit der Brechstange aus, dass einen Augenblick später ein ganzer Berg von Gipsbröckchen zu seinen Füßen lag.
Der Hauptmann bückte sich, so sehr er konnte, und zwängte sich mit einem Kerzenstummel durch das entstandene Loch. Truhen! In drei Reihen übereinander gestapelt, beinah bis zur Decke!
Cornelius musste sich zurückhalten, um sich nicht sofort auf den Schatz zu stürzen. Wie es sich für einen ordentlichen Katholiken gehört, dankte er zuerst der Heiligen Jungfrau Maria: »Gegrüßet seist du Maria, voll der Gnade«, und erst danach schlug er zitternd vor Aufregung den von der Feuchtigkeit aufgequollenen, unnachgiebigen Deckel zurück.
Seine Finger ertasteten etwas Feuchtes, das sich wie verfilztes Frauenhaar anfühlte. Von Dorn leuchtete mit der Kerze und stöhnte auf, so unerträglich war die Enttäuschung. Da lagen Pelzbündel, die von der langen und nachlässigen Lagerung verfault waren. In den anderen Truhen war dasselbe: abgewetzte, zu nichts zu gebrauchende Zobelpelze. Irgendjemand hatte sie hier vor zwanzig oder gar dreißig Jahren versteckt und vergessen, sie wieder herauszuholen. Man hatte den Eindruck, der ganze Zarenpalast stehe auf einem Haufen völlig sinnlos zunichte gemachter Vorräte und unbrauchbaren, verfaulten Zeugs.
Ansonsten wurde an diesem Tag nichts Erwähnenswertes gefunden.
Dafür machte Cornelius bei der nächsten Kremlwache, am 21. Januar, eine erstaunliche Entdeckung. Die Galerie führte ihn zu einer kleinen Tür, die er nicht mit einem Mal einschlagen konnte – der Krach erschütterte den ganzen Keller. Auf der anderen Seite führte der Gang weiter, verlief aber nicht mehr gerade, sondern zickzackförmig, wobei die Biegungen dieses sonderbaren, unbekannt zu welchem Zweck angelegten Labyrinths keinerlei Ordnung und Sinn erkennen ließen. Am Ende eines jeden Teilstücks war ein schwarzes, quadratisches Loch in der Decke. Anfangs maß der Hauptmann diesen Öffnungen keine Bedeutung bei, denn er dachte, sie dienten der Belüftung, aber nach der dritten oder vierten Biegung waren von oben gedämpfte, doch durchaus deutliche Stimmen zu vernehmen.
»Ich hau dir die Fresse zu Brei, du Hurensohn«, brüllte das Loch dumpf. »Ich schrei jetzt ›Du bist verhaftet‹, dann kannst du sehen, was es heißt, sich an den Kerzen des Zaren zu vergreifen. Wie viele hast du denn geklaut?«
»Väterchen Jefrem Silytsch«, antwortete der unsichtbare Dieb winselnd, »nur zwei Kerzen hab ich genommen, um im heiligen Psalter zu lesen. Verpfeif mich nicht, ich flehe dich an bei Christus dem Herrn!«
»Gut. Morgen bringst du mir einen halben Rubel, dann zeige ich dich nicht an. Und pass bloß auf, dass das nicht wieder vorkommt. Du bist mir vielleicht ein schöner Tischaufseher!«
Erstaunt über die Absonderlichkeiten des Äthers, der Töne durch Luftröhren übertragen kann, ging Cornelius weiter. Die Decke nach der nächsten Biegung sprach ebenfalls:
»›Und wenn dieser
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