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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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man einmal nachdenken. Aber laut sprach Cornelius etwas ganz anderes an:
    »Ah, wenn ich gewusst hätte, was für ein Schuft dieser Taissi ist, hätte ich die Leichname der Mönche nicht ins Leichenschauhaus bringen lassen! Jetzt kann man sie dort lange suchen, unter den vielen anderen, die in der Nacht in Moskau umgebracht wurden. Die Polizeidiener haben die Mönche bestimmt nackt ausgezogen, da kann man sie nicht mehr identifizieren. Das wäre ein hervorragendes Beweisstück gegen Taissi gewesen – schließlich waren es seine Diener, die versucht haben, Euch zu entführen.«
    »Mein lieber Herr von Dorn«, sagte der Apotheker achselzuckend, »in Deutschland wäre das vielleicht wirklich ein Beweisstück, aber in Russland nie im Leben. Es gibt hier weder ein richtiges Untersuchungsverfahren noch eine ordentliche Rechtsprechung. Und wer die Gunst Seiner Majestät des Zaren genießt, dem ist erst recht nicht beizukommen. Aber das macht nichts, ich werde jetzt doppelt so vorsichtig sein, und mit Euch brauche ich doch nichts zu fürchten, stimmt’s?«
    Walser schaute dem Hauptmann vertrauensvoll in die Augen.
    Das Bewusstsein seiner Verantwortung für diesen schutzlosen Sonderling erfüllte Cornelius mit Stolz. Wie hatte sein seliger Vater doch gesagt: »Das schlimmste Verbrechen ist nicht Diebstahl oder gar Mord, sondern Verrat. Verrate niemals einen, der sich dir anvertraut hat. Betrügen kann man nur die, die einem nicht glauben. Verraten darf man nur die, die nicht auf einen bauen.« Herr Walser sollte es nicht bereuen, Cornelius von Dorn sein Schicksal anvertraut zu haben.
    »Ich kann zu Eurem Schutz Folgendes anbieten«, sagte der Hauptmann geschäftig. »Wenn es Euch um zwei Altyn pro Tag nicht Leid tut, werden Euch die ganze Zeit abwechselnd zwei Soldaten aus meiner ehemaligen Kompanie begleiten. Ich kann mit ihnen eine entsprechende Abmachung treffen. Nur dürft Ihr ihnen keinen Wein kaufen und sie nicht im Voraus entlohnen, sondern erst am Ende des Tages. Ich persönlich werde in Eurer Nähe sein, wenn ich keinen Dienst habe. Und womit beginnen wir unsere Suche nach der Liberey?«
    Der Apotheker dachte ein wenig nach und antwortete dann:
    »Ich werde weiter die alten Grundbücher studieren. Es müssten sich noch irgendwelche Spuren der geheimen unterirdischen Arbeiten finden lassen. Ihr, mein Freund, sucht das Bleiversteck direkt unter der Zarenresidenz, unter dem Steinpalast. Ihr müsst zu den Kellern des Flügels Vordringen, der zur ›Erlöser im Walde‹-Kirche weist. Genau an dieser Stelle stand der Holzpalast des Zaren Iwan, der heutige Palast ist auf dem alten Fundament errichtet worden. Ich komme auf keinen Fall dahin, Ihr aber haltet dort ja oft Wache. Könnt Ihr in das unterirdische Stockwerk gelangen, ohne Euch allzu großer Gefahr auszusetzen?«
    »Ja, kann ich«, erklärte Cornelius bestimmt. »Meine Musketiere schieben um den ganzen Palast herum Wache, ich gehe immer, wie es mir gerade gefällt, kontrollieren, wie sie ihren Dienst versehen. Kommenden Mittwoch sind wir wieder dran. Auf der Seite des Facettenpalastes gibt es eine Tür zum Keller, die mit Brennholz versperrt ist – offenbar wird sie schon lange nicht mehr benutzt. Aber was soll ich da machen? Die Kellerräume sind größtenteils mit unbrauchbarem Gerümpel voll gestopft, es gibt dort nichts Wertvolles.«
    »Geht durch alle unterirdischen Räume. Klopft die Fußböden mit der Scheide Eures Degens ab – ob es irgendwo einen hallenden Ton gibt, ob die Bleidecke des Verstecks sich durch ein helles Echo zu erkennen gibt. Schafft Ihr das?«
    »Na klar.«
    Cornelius stellte sich den süßen Augenblick vor: Er schlägt mit dem Eisen gegen eine Steintafel und hört den Widerhall des segensreichen Vakuums.
    »Gut«, sagte er, »angenommen, ich finde die Liberey und schaffe jedes Mal ein, zwei Bücher heraus. Wo sollen wir die Beute verstecken? Es handelt sich ja schließlich immerhin um Eigentum des Zaren. Wisst Ihr, was auf Raub von Zarenbesitz steht?«
    »Ja, weiß ich«, sagte der Apotheker nickend. »Ich habe extra im Strafgesetzbuch nachgeguckt. Erst wird man uns die rechte Hand abhacken, dann die Wunde mit Pech kauterisieren, damit wir nicht vorzeitig verbluten, dann wird man uns an der Rippe auf einen eisernen Haken spießen, und so werden wir beide dann hängen, bis wir krepieren. Keine Sorge, ich habe alles bedacht. Ich habe ein Versteck, das nicht schlechter ist als das von Iwan dem Schrecklichen. Kommt, ich zeige es Euch.«
    Er

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