Die Bibliothek des Zaren
dringenden Angelegenheit zum Zaren gerufen hatte. Na gut, dann würde er eben dem Mohren von Wassili Wassiljewitsch erzählen.
Sein Herumspazieren im Keller gab Cornelius als Diensteifer aus. Er habe prüfen wollen, ob Verbrecher durch die alten Gewölbe in den Palast eindringen könnten, und sei dabei zufällig auf einen Gang mit einem Abhörsystem gestoßen.
Die runzligen braunen Augenlider, aus denen manchmal urplötzlich ein scharfer, durchdringender Blick den Hauptmann anfunkelte, geschlossen, hörte Iwan Artamonowitsch zu. Er wunderte sich nicht, regte sich nicht auf, zürnte nicht. Er nahm sämtliche erschütternden Nachrichten gelassen auf: die von der Affäre des Fürsten mit der Zarentochter Sofja genauso wie die von Galizkis beleidigenden Worten über Artamon Sergejewitsch und die von der Absicht des Liebespaares, Matfejews Pläne zu durchkreuzen.
Cornelius begann erregt, nahm sich allmählich aber immer mehr zurück, da der Haushofmeister nicht die erwartete Reaktion zeigte.
Als er alles angehört hatte, sagte Iwan Artamonowitsch:
»Was die Unzucht der Zarentochter mit Wassili Galizki betrifft, so ist das seit Langem bekannt. Wenn es an der Zeit ist, Wassili aus dem Kreml zu jagen, dann wird Artamon Sergejewitsch das dem Zaren sagen, sollen sie sich bis dahin ruhig amüsieren, das ist keine Staatsaffäre. Dem Bojaren ernstlich ins Gehege kommen können Sofja und Galizki nicht, dazu haben sie zu wenig Einfluss. Und dass der Fürst schlecht über Alexandra Artamonowna spricht, das ist belanglos. Der Bojar hat nie im Ernst vorgehabt, diesem Scheusal die Hand seiner Tochter zu geben. Wir wissen, dass der Fürst für die Miloslawskis arbeitet. Artamon Sergejewitsch lässt ihn absichtlich an sich heran, damit Wassili denkt, er habe sein Vertrauen.«
Es stellte sich heraus, dass Cornelius dem Mohren nichts Neues mitgeteilt hatte. Das hätte Cornelius die Laune verderben können, aber die Nachricht, dass der Bojar nicht im Traum daran dachte, dem Fürsten Saschenkas Hand zu geben, wog durchaus die Enttäuschung auf.
Iwan Artamonowitsch schaute den rot angelaufenen von Dorn an, ächzte, seufzte und lenkte die Unterhaltung auf einmal in eine unerwartete Richtung.
»Soll ich dir mal ein Gleichnis erzählen, Kornej?«
Der Musketier dachte, er habe sich verhört, aber der Haushofmeister tat, als wäre das nichts Besonderes, als erzähle er am laufenden Band Märchen.
»Es ist ein altes Gleichnis der Mohren. Ich habe es von meiner Großmutter gehört, als ich klein war. Es war einmal ein Krokodil-Männchen, das lebte im Sumpf. Da saß es also vergnügt im Morast, fraß Frösche und Kröten und kannte keinen Kummer.
Aber eines Tages passierte ihm ein Unglück. Es schaute auf das Wasser, sah, wie die Sonne sich im Wasser spiegelte, und verlor den Kopf – das kurzfüßige Wesen wollte die Sonne heiraten. Sie war verdammt hübsch, gelb und hatte ein rundes Gesicht. Nur wie sollte es zu ihr hinkommen, sie wohnte ja am Himmel? Das zahnbewehrte Krokodil dachte nach und dachte nach, fand aber keine Lösung. Was würdest du dem Krokodil raten, Hauptmann?«
Cornelius war mehr tot als lebendig, als er das Gleichnis hörte. Er ließ den Kopf hängen und sagte:
»Das weiß ich nicht.«
»Dann sag ich es dir.« Iwan Artamonowitschs Stimme wurde eindringlicher. »Entweder das Krokodil muss zum Himmel fliegen, oder die Sonne muss in den Sumpf fallen. Sonst können sie nicht Zusammenkommen. Verstehst du, was ich damit sagen will? Geh schon und schlaf ein bisschen nach der Wache. Und wenn du nicht schlafen kannst, denk ein wenig über mein Gleichnis nach. Du gefällst mir. Ich möchte nicht, dass du verrückt wirst.«
Aber weder kam von Dorn zum Schlafen noch zum Nachdenken über das Gleichnis.
Kaum dass er den Mohren verlassen hatte, kam ein Eilbote aus dem Kreml, und er begab sich sofort zu Iwan Artamonowitsch. Es war klar: Es musste etwas passiert sein.
Cornelius war beunruhigt und wartete im Flur.
Sowohl der Mohr als auch der Bote, beide traten sie kurz darauf heraus. Finster und angespannt knöpfte Iwan Artamonowitsch seinen Paradekaftan zu und flüsterte im Gehen:
»Es steht schlecht. Den Zaren hat in der Nacht der Schlag getroffen, er liegt im Sterben. Jetzt kann alles Mögliche passieren.«
Und sie ritten davon.
Von Dorn wanderte den ganzen Tag im Zimmer auf und ab und quälte sich mit der Frage, ob Seine Majestät womöglich den Schrecken nicht überlebt hatte. War er nach seinem Röcheln womöglich nicht
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