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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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mehr auf die Beine gekommen? Ach, was für ein übles Ende! Ach, wie er sich schämte!
    Gegen Abend kam Adam Walser. Mit roten Flecken im Gesicht und glühenden Augen. Er kam ohne Klopfen hereingeschneit und rief sofort:
    »Habt Ihr gehört? Seine Majestät hatte einen Schlaganfall. Er wird wohl kaum die Nacht überleben. Alle Bojaren sind da, auch die Geistlichkeit, Taissi natürlich als Erster. Man wird ihm die Letzte Ölung geben. Das heißt, dass wir beide jetzt zu der Liberey gehen sollten.«
    »In den Kreml?«, sagte von Dorn verwundert. »Ist das der richtige Augenblick?«
    »Was hat das denn mit dem Kreml zu tun!«, rief der Apotheker verärgert. »Die Bibliothek ist doch ganz woanders.«
    Cornelius erstarrte und fragte:
    »Habt Ihr sie etwa gefunden?«
    »Ja!«

ELFTES KAPITEL
    Reden wir von den Merkwürdigkeiten
der Liebe
    Als er dreihundert Meter von der hell erleuchteten Schänke entfernt war, kam Nicholas an einen dunklen, wenig belebten Platz und setzte sich auf eine Holzbank. Er wollte überlegen, welche Schritte er als Nächstes unternehmen würde.
    Doch ein Plan wollte sich partout nicht ersinnen lassen. Unter den gegebenen Umständen hatte das einfach keinen Sinn. Ja, was für Schritte denn?! Den Kopf in den Nacken legen und den Mond anheulen – das war das Einzige, was übrig blieb.
    Sich den Behörden stellen ging nicht. Abreisen ging nicht. Wo er übernachten sollte, wusste er nicht. Jemand, der ihm helfen könnte, gab es nicht. Ihm dröhnte der Kopf. Und es war wahnsinnig kalt. Wie in dem Lied »Moonlight and Vodka« von Chris de Burgh, das er nicht mochte.
    Nach einiger Zeit wurde er von dem lastenden Entsetzen und der Kälte nüchtern, doch zugleich schwand auch seine Entschlossenheit »bis zum Heft zuzustoßen«. Ehrlich gesagt, auch die zweite kühne Entscheidung – edelmütig fortzugehen in die Nacht – kam ihm jetzt idiotisch vor (besonders Leid tat es ihm um den Blazer, in dem es nicht ganz so kalt gewesen wäre).
    Also was tun, in die Wärme und zum Licht zurückkehren? Wlads Hilfe annehmen? Und ein für alle Mal die Selbstachtung verlieren? Und den Freund in Gefahr bringen? Nein, um nichts in der Welt!
    »Und was ist mit Altyn? Hast du die denn nicht ganz schön in Gefahr gebracht?«, sagte Fandorins Gewissen. »Vielleicht verhören Schuriks Auftraggeber sie gerade und glauben ihr nie im Leben, dass sie nichts über dich weiß.«
    Dieser schreckliche Gedanke ließ Nicholas von der Bank aufspringen; er war bereit, auf der Stelle nach Beskudniki zu fahren bzw., wenn es sein musste, auch zu Fuß dahin zu laufen. Aber er setzte sich. Er wusste ja noch nicht einmal die Adresse, und die Häuser in dieser Schlafstadt glichen einander wie die Gräser auf der Wiese. Telefon! Er hatte die Nummer doch auswendig gelernt! Fandorin öffnete den Aktenkoffer, schaltete sein Ericsson-Handy an und wählte nach einem kurzen Zögern dreizehn Zahlen: die Vorwahl von Russland, die Vorwahl von Moskau und dann Altyns Nummer.
    Schon nach dem ersten Tuten antwortete die Stimme der Journalistin: »Hallo . . . Hallo . . . Wer ist da?«
    Nicholas schwieg, denn er spürte eine ungeheure Erleichterung. Antworten konnte er ihr natürlich nicht, das Telefon wurde höchstwahrscheinlich abgehört. Doch auflegen wollte er auch nicht, von Altyns heller Stimme wurde die kalte Nacht ein wenig wärmer.
    »Hallo, wer ist da?«, wiederholte sie. Und zischte auf einmal: »Bist du das etwa, du Schwein? Ja? Warte, wenn ich dich kriege! Antworte, du Schuft, mach den Mund auf.«
    Nicholas drückte erschreckt auf den Knopf, um aufzulegen. Offenbar hatte Altyn seine Nachricht doch in den falschen Hals gekriegt. Für was für einen hält sie ihn denn eigentlich?
    Und der durchgefrorene Magister verlor völlig den Mut.
    Was tun? Was tun?
    An seine Freunde – Wlad Solowjow oder Altyn Mamajewa (die allerdings den miesen Briten jetzt wohl kaum mehr zu ihren Freunden zählen würde) – konnte er sich nicht wenden. An Mister Pumpkin ebenfalls nicht, der war in offizieller Mission hier und würde jemandem, den man des Mordes verdächtigt, nicht helfen wollen. Aber Fandorin brauchte nun mal unbedingt Hilfe.
    »Wie lange willst du denn hier noch herumjammern und klagen?«, fauchte Nicholas sich selber an. »Los«, sagte er zu seinem Hirn, »arbeite mal, lass dir gefälligst was einfallen. Du bist meine einzige Hoffnung.«
    Das Hirn wurde sich seiner Verantwortung bewusst. Es stellte seine Hysterie ein und machte sich an die Arbeit. Und da

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