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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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    Wo sind denn eigentlich diese Türken? Nach Wien reisen ist teuer, weit, und wenn du dann doch keine Stelle findest? Dann kannst du nur noch zu den Mönchen gehen, zum Bruder Andreas, der ist der Klügste der von Dorns, ist schon Abt. Oder du nistest dich bei einer dicken alten Kaufmannsfrau als Liebhaber ein. Das ist gehupft wie gesprungen.
    Und da lacht ihm plötzlich wie im Märchen das Glück! In einer Schänke an der Prinsengracht setzt sich ein stattlicher Mann zu ihm an den Tisch, ein Herr Faustle, der sich als Obristlieutenant a.D. im Dienste Moskaus vorstellt. Fast ein Landsmann, ein Badener. Nachdem er vier Jahre dem Zaren gedient hat, fährt er nun heim, will sich ein Haus mit Garten und eine Frau zulegen. Bis nach Amsterdam hatte Herrn Faustle freundlicherweise der russische Gesandte Fürst Tulupow begleitet, der nach Europa abkommandiert worden ist, um erfahrene Offiziere für die russische Armee anzuwerben. Der Sold ist nicht sehr hoch, aber garantiert. Für die Reise wird ein großzügiges Futtergeld zur Verfügung gestellt, hundert Reichstaler, bei der Ankunft gibt es noch Umzugsgeld: fünfzig Reichstaler in Silber, noch einmal so viel in Zobelfellen und fünf Ellen feines Tuch. Die Hauptsache ist aber: Einem kühnen und unternehmungslustigen Mann, der sein Glück machen will, eröffnet dieses asiatische Land wirklich unbegrenzte Möglichkeiten. Der Obristlieutenant erklärte, wo der russische Fürst logierte, zahlte für den Wein und setzte sich an einen anderen Tisch, wo er sich mit zwei holsteinischen Dragonern unterhielt. Cornelius saß da und dachte nach. Er schrie Herrn Faustle zu: »Führt der Zar auch Krieg gegen die Türken?« Tatsächlich, sowohl gegen die Türken als auch gegen die Tataren führt er Krieg. Damit waren die letzten Zweifel zerstreut.
    Und als Cornelius dann den Moskowiter Gesandten in einem mit Edelsteinen besetzten Brokatpelz sah, mit einer hohen Mütze aus erstklassigem Zobelfell (jedes kleine Stück Fell kostete beim Kürschner mindestens 200 Reichstaler!), da hatte er nur noch vor einem Angst: dass sie ihn nicht nehmen würden.
    Doch sie nahmen ihn. Und er handelte ausgezeichnete Bedingungen aus: Zu den hundert Reichstalern Reisegeld und zu dem Umzugsgeld (der Obristlieutenant hatte nicht gelogen: Silber, Zobel, Tuch, alles stimmte) kamen noch elf Rubel Sold im Monat und Futtergeld hinzu. Vertragsdauer: vier Jahre, bis Mai 1679. Um sich wichtig zu machen und um Verhandlungsspielraum zu haben, forderte von Dorn den Hauptmannsrang, von dem er wusste, dass er ohne Patent nicht vergeben wurde. Und siehe da, er bekam ihn! Da war er Leutnant gewesen, ein für alle Mal, ohne Hoffnung, sich hochdienen zu können, und nun war er auf einmal Hauptmann der Musketiere geworden. Der Gesandte stellte auch die Papiere schon gleich auf den neuen Rang aus, mit roten Siegeln, Ehrenwort gegen Ehrenwort.
    Bis nach Riga fuhr der frisch gebackene Hauptmann auf einem Fischerboot. Um Polen machte man besser einen Bogen, denn es war zu befürchten, dass man sich dort an seine Desertion aus dem Regiment von Fürst Wisnewecki im vorletzten Jahr erinnerte. Zwar stank er von Kopf bis Fuß nach Hering, aber dafür kostete es auch nur sechs Reichstaler.
    In der Hauptstadt von Livland, der letzten europäischen Stadt, deckte er sich mit allem ein, was man in Asien nicht bekam: Kreidepulver zum Putzen der Zähne (ihr blendendes Weiß verhalf Cornelius zu etlichen galanten Siegen); eine nicht neue, aber durchaus anständige Perücke (Farbe: rabenschwarz); Batavia-Tabak; eine flache, handliche Flohfalle (schräg unter die Achsel zu hängen). Auf jemand, der den gleichen Weg hatte, wartete er nicht – Hauptmann von Dorn hatte eine englische Muskete, zwei Nürnberger Pistolen und einen Degen aus Toledo, brauchte also keine Angst vor Räubern zu haben. Er machte sich alleine zur russischen Grenze auf.
    Der Weg war langweilig. Am fünften Tag erreichte er den letzten schwedischen Posten: die Festung Neuhausen. Ein Leutnant, der von Dorn bis zum Grenzfluss begleitet hatte, zeigte ihm die Richtung: da hinten, hinter dem Feld und dem Wald, nach zweieinhalb Meilen kommt das Dorf Neworotynskaja (Nicht-Worotynskaja), das so heißt, weil es hier lediglich zwei Moskowiter Siedlungen gibt und die andere den Namen Worotynskaja trägt, weil sie dem Grafen Worotynski gehört. »Da können Sie mal sehen, wie dumm und fantasielos diese Knoblauchfresser sind«, sagte der Leutnant. »Wenn es hier noch ein

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