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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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drittes Dorf gäbe, würde sich das für sie zu einem so kniffligen Problem auswachsen, dass es nicht mehr lösbar wäre.«
    »Warum Knoblauchfresser?«, fragte Cornelius. Der Leutnant erklärte, die Russen hätten einfach keinen Geruchssinn. Die Moskowiter seien bei einem ungesunden Hang zum Waschen (sie waschen sich fast einmal im Monat, was übrigens eher an ihren lockeren Sitten liegt, denn Männer und Frauen baden bei ihnen zusammen) völlig unempfindlich gegen schlechte Gerüche, und ihre Hauptnahrungsmittel seien rohe Zwiebeln und Knoblauch.
    Cornelius verdarb diese Nachricht keineswegs die Stimmung. Jeder, der einmal eine Belagerung aushalten musste, weiß, dass Knoblauch sehr nützlich ist: er schützt vor Skorbut und vor dem Anschwellen der Beine und, wie es heißt, sogar vor der französischen Krankheit. Von ihm aus sollten die Russen so viel Knoblauch essen, wie ihnen passte, Hauptsache, sie zahlten den Sold pünktlich.
    ***
    Er überquerte den Fluss an einer Furt und ritt eine halbe Meile weiter, da tauchte eine Gruppe hinter den Sträuchern auf: ein dicker Mann mit einem schweinsroten Gesicht saß hoch zu Ross, vier weitere trotteten hinterher. Sie hatten alle langschößige grüne Kaftane an, die recht speckig waren, und nur der Kaftan des Reiters war ganz, während die der Fußgänger mit Löchern und Flicken übersät waren. Cornelius erschrak aus Angst, es könnten Räuber sein, und wollte schon zur Pistolentasche greifen, besann sich aber sofort, denn Übeltäter trugen wohl kaum eine Uniform. Es musste sich um eine Grenztruppe handeln.
    Drei der Soldaten hatten Hellebarden, einer trug eine Hakenbüchse. Der Offizier hatte einen Krummsäbel an der Seite hängen. Drohend sagte er etwas, wobei er die Zischlaute so akzentuierte, dass es klang, als wolle er eine Gans verscheuchen. Den Sinn des Gesagten konnte man sich auch ohne Übersetzung zusammenreimen: Wer bist du, und wie zum Teufel kommst du dazu, die Erde des großen Moskauer Zaren zu zertreten?
    Von Dorn lüftete höflich seinen Hut, holte den Geleitbrief aus der Tasche und schwenkte demonstrativ die Siegel hin und her. Dann rollte er das Dokument auseinander und tat, als lese er in der Mitte, wiederholte in Wirklichkeit aber, was er auswendig gelernt hatte: »Und besagter Musketierhauptmann Kornej Fondorn soll unverzüglich nach Pskow, dem Großen Nowgorod und Twer, und von Twer gen Moskau reiten.«
    Der Offizier zischte wieder und streckte die Hand nach der Urkunde aus (wobei er eine übel riechende Schnapsfahne verbreitete), aber Cornelius war Gott sei Dank auch nicht von gestern. Er hielt noch einmal das Siegel hoch und packte die Urkunde gerade rechtzeitig weg.
    »Pskow – Nowgorod – Twer – Moskau«, zitierte er noch einmal und setzte drohend hinzu: »unverzüglich« (was bedeutete »in einer dringenden staatlichen Angelegenheit«). Da stellte sich heraus, dass im Gebüsch noch ein Moskowiter hockte – ohne Gewehr, mit einem kupfernen Tintenfass um den Hals und einem
    Gänsekiel hinterm Ohr.
    Er erhob sich träge und sagte in schlechtem, aber verständlichem Deutsch: »Geb dem Aufseher drei Albertustaler, mir ein, den Schützen ein – die müssen schließlich auch leben – und reite mit Gott, wohin du willst, wenn du ein Mann bist, den man braucht.«
    Fünf Reichstaler? Fünf?! Und wofür?
    »Einen Augenblick«, sagte Cornelius und nickte. »Ich muss nur mal den Gurt festziehen.«
    Er zog ihn fest. Und hast du’s nicht gesehen, da kreischte er dem Pferd wie ein Wilder ins Ohr und gab ihm die Peitsche. Von wegen fünf Reichstaler, das Loch von der Brezel kriegt ihr, verehrte Herren Grenzer.
    Sie schossen von hinten, und er hörte auf einmal die Luft nur eine halbe Elle seitlich vom Ohr zischen. Aber es war nichts passiert. Gott war ihm gnädig. Den von Dorns war das Glück hold, das war schon immer so. Das einzige Unglück war, dass sie nie die Früchte ihrer Fortüne ernteten. Schuld daran war ihr verfluchter Hang, sich nicht die Hände dreckig zu machen, und die unselige Familiendevise, die der Begründer des Geschlechts, Theo der Kreuzfahrer, sich zum Unheil seiner Nachfahren aus gedacht hatte: Honor primum, alia deinde. Erst kommt die Ehre, alles andere später.
    Ururgroßvater Tibo-Montezuma, der mit einer ganzen Fuhre Aztekengold aus Mexiko zurückgekommen war, hatte mit seinen dreisten Reden den Zorn des Kaisers Karl auf sich gezogen und so nicht nur das Gold, sondern auch seinen Kopf verloren. Der Großonkel Ulrich der

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