Die Bibliothek des Zaren
im heimatlichen Theofels, und Cornelius‘ Stimmung war siegesgewiss. Zur Sicherheit ritt er eine weitere Meile in schnellem Trab, obwohl kaum zu vermuten war, der betrunkene Anführer der grünen Grenzsoldaten könne ihm nachjagen. Als der Goldfuchs anfing mit dem Kopf zu wackeln und sich Schaumflocken vor seinem Maul bildeten, ging er in Schritttempo über. Er musste die Pferde füttern, sie tränken, und er hätte auch selbst gern ein Gläschen auf die erfolgreiche Ankunft in russischen Landen getrunken.
Als am Fuße des Hügels ein Dorf auftauchte, dachte der Hauptmann zuerst, es sei ausgestorben – möglicherweise war es von einer Seuche dahingerafft oder von den Bewohnern verlassen worden. Graue, krumme Häuser unter fauligen Strohdächern, blinde Fenster, eine Kapelle mit einem schiefen orthodoxen Kreuz. Aber über einer der armseligen Hütten, einer langen, von einem Zaun eingefassten, hing ein Rauchwölkchen, und abseits von der Siedlung, auf einer Wiese, weidete eine Herde: drei magere Kühe und ein Dutzend schmutzige Schafe. Das war dann wohl das Dorf Neworotynskaja.
Cornelius ritt ohne Eile die einzige Straße entlang und schaute sich neugierig um. Eine solche Armut hatte er selbst in Polen nicht gesehen. Weder ein Huhn noch ein Obstbaum noch ein Karren. Selbst Hunde gab es nicht. Er wunderte sich, dass keine Abzugsrohre auf den Dächern zu sehen waren, offenbar ließ man hier den Rauch ins Innere strömen, wie bei den Samojeden im hohen Norden.
Allmählich begegneten ihm auch Menschen. Zuerst eine Greisin, so um die sechzig. Sie kam aus einem lädierten Tor gestürzt, als der Rappe es sich hatte einfallen lassen, im Gehen sein Geschäft zu verrichten, warf sich die dampfenden Pferdeäpfel in den zusammengerafften Saum ihres sackleinenen Rocks (wobei sie ihre dürren erdfarbenen Beine sehen ließ), spuckte dem Ausländer hinterher und rannte zurück. »Sie wird die doch nicht etwa essen?«, dachte Cornelius erschreckt, beruhigte sich aber gleich wieder: Sie wird damit heizen oder den Gemüsegarten düngen.
Dann stieß er auf einen nur mit einem Hemd bekleideten Mann. Er lag mitten auf der Straße, war tot, betrunken oder schlief einfach. Der Hengst stieg vorsichtig über ihn hinweg, die Stute machte einen Bogen.
Hinter einer Hecke kamen zwei Kinder hervor, die ganz nackt und schmutzig waren. Sie stierten aus leeren Augen auf den Ausländer. Das eine schniefte durch die Nase, das andere lutschte am Daumen. Cornelius kamen sie vor wie junge Tiere, gut, dass sie wenigstens keinen Ärger machten – nicht um Almosen bettelten und nicht mit Steinen warfen.
Vorne tauchte eine uralte Hütte auf, die einzige im Dorf, die einen Rauchabzug und Glimmerfenster hatte (bei den anderen Häusern waren vor die winzigen Fensteröffnungen Ochsenblasen gespannt). An der Freitreppe lagen zwei weitere reglose Männer, im Hof standen ein paar Fuhrwerke, und ein halbes Dutzend Pferde trottete angeleint herum. Genau das, was er brauchte: eine Schänke oder eine Herberge.
Cornelius ritt auf das Grundstück und wartete darauf, dass sich ein Diener blicken ließ. Aber es kam keiner. Da brüllte er: »Hej! Hej, hej!« – fünf Mal machte er das. Es rührte sich immer noch nichts. Auf einmal kam ein nur mit langen Unterhosen bekleideter Mann mit einem Kupferkreuz auf der bloßen Brust auf die Freitreppe heraus, aber nicht, um dem Reisenden behilflich zu sein. Er stand ein Weilchen da, schwankte und fiel kopfüber die Stufen herunter. Aus der aufgeschlagenen Stirn des Trunkenboldes troff ein rotes Rinnsal.
Hier wird viel getrunken, schloss Cornelius daraus. Wahrscheinlich haben sie heute irgendeinen Feiertag.
Er machte die Pferde selber fest, sattelte sie ab, schüttete ihnen von seinem eigenen Hafer hin (er hatte einen kleinen Vorrat im Gepäck). Bei dem Goldfuchs war der linke Hinterhuf ein wenig abgetreten, die Stute brauchte ein neues Hufeisen. Der Rappe war tipptopp – kein Pferd, sondern ein Wunder!
Die Satteltasche nahm er mit, die Pistolen ebenfalls, die Muskete hängte er sich über die Schulter. Er musste so schnell wie möglich einen Diener das Gepäck holen lassen, damit es ihm um Himmels willen nicht gestohlen würde.
Er stieß die Holztür auf und betrat einen dunklen Schuppen. Ein säuerlicher, übel riechender Luftstrom schlug ihm entgegen. Der schwedische Leutnant hatte die Wahrheit gesagt, die Moskowiter verbreiteten nicht gerade einen Wohlgeruch.
Er blieb eine Weile auf der Schwelle stehen, damit sich
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