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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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also) in Riga gekauft hatte, eins mit der Peitsche über, und der Rappe, weniger durch den Schlag als durch das wilde, ihm direkt ins Ohr geschriene Gebrüll erschreckt, verfiel aus dem Stand in den Trab. Ein gutes Pferd – schnelle Reaktionen, breite Brust, leicht zu füttern: mit einem Eimer Wasser und einem Achtel Hafer legte es, ohne zu straucheln, bis zu sieben Meilen zurück. Und auch was die Geschwindigkeit betraf, war es nicht übel. Und die war für Cornelius jetzt entschieden das Wichtigste.
    Hinten am langen Zügel lief eine flauschbeinige Stute mit dem Gepäck – auch dieser Goldfuchs gab sich Mühe und warf seine strapazierten Hufe hoch. Das Wertvollste hatte von Dorn natürlich bei sich, in der Satteltasche, aber den Goldfuchs zu verlieren, war auch nicht ratsam, deshalb hetzte er nicht zu sehr, sondern bremste sich. Die Traglasten enthielten das Notwendigste: Dörrfleisch, Salz, Zwieback und einen warmen Pelz aus Hundefell, weil, wie es hieß, in Moskowien auch im Mai ein solch bitterer Frost herrschen kann, dass die Bäume davon knacken und der Schnurrbart sich in eisige Stacheln verwandelt.
    Cornelius preschte fünfzig Schritte vor und drehte sich nach der Grenzwache um. Der begriffsstutzige Polizeihauptmann, dem ob der unglaublichen Dreistigkeit die Luft wegblieb, glotzte ihm untätig hinterher. Die drei Schützen fuchtelten mit den Armen, einer reagierte und legte eine Hakenbüchse an, eine absolut vorsintflutliche, in Europa waren diese Dinger schon im Dreißigjährigen Krieg außer Gebrauch gekommen. Lass ihn doch, er trifft sowieso nicht. Die Unfähigkeit der Russen im Schießen war allgemein bekannt. Deshalb hatte man den Leutnant von Dorn – nein, er war ja jetzt schon Hauptmann – nach Moskau gerufen: Er sollte den Soldaten dort die Kunst des treffsicheren Schießens und der richtigen Aufstellung beibringen.
    Die Hoffnungen, die er mit dem holländischen Dienst verbunden hatte, hatten sich zerschlagen. Anfangs hatten die niederländischen hohen Herrschaften die Söldner pünktlich entlohnt, aber als der Krieg mit England beendet war und die Kämpfe zu Land mit den Franzosen nachließen, waren die Württembergischen Musketiere nicht mehr gefragt. Der eine verdingte sich bei den Polen, der andere bei den Schweden, während Cornelius immer noch in Amsterdam herumhing und seine letzten Reserven aufbrauchte.
    Man musste sagen, einen richtigen Krieg hatte es schon lange nicht mehr gegeben. Vielleicht war die Zeit der richtigen Kriege ja auch ganz vorbei. Schon zehn Jahre, seit seiner bartlosen Jugend, diente von Dorn als Soldat: zuerst als einfacher Reiter, dann als Kornett, vor zwei Jahren hatte er sich endlich das Leutnantspatent gekauft – und doch reichte es hinten und vorne nicht, alles war unsicher und nur für kurze Zeit. Zwei Jahre hatte er sich bei den Franzosen verdingt, ein halbes Jahr bei dem mecklenburgischen Herzog, ein Jahr – nach den Schweden – bei den Dänen – ach nein, die Schweden, das war erst nach den Dänen. Außerdem hatte er der freien Stadt Bremen gedient, dem polnischen König und wieder den Franzosen. Seitdem er in holländische Gefangenschaft geraten war, kämpfte er natürlich gegen die Franzosen. Auf der Stirn, dicht neben der linken Schläfe, hatte er eine halbkreisförmige Narbe: In der Schlacht bei Enzheim, als aus dem Karree auf die Kürassiere des Vicomte de Turenne gefeuert wurde, hatte sich ein verwundetes Pferd auf der Erde gewälzt und ihn mit dem Hufeisen getroffen – es war ein Wunder des Herrgotts, dass es ihm nicht den Schädel gespalten hatte. Den Damen sagte Cornelius, das Mal sei die Hinterlassenschaft eines Amorpfeils, den Mädchen erzählte er, es sei die Spur eines türkischen Krummsäbels.
    Ja, dahin müsste man gehen, zu den Österreichern, und gegen die Türken kämpfen. Zu dieser Lösung tendierte der kühne Leutnant nach dreimonatigem Nichtstun, als seine Schulden auf über zweihundert Gulden angewachsen waren und der Schuldturm immer wahrscheinlicher wurde. Dabei war er doch gar nicht mehr so jung, über fünfundzwanzig; aber er hatte es weder zu Ruhm noch zu Reichtum gebracht, ja, er hatte noch nicht einmal ein Dach über dem Kopf. Nach Theofels, zu seinem älteren Bruder, konnte er nicht zurückgehen, der würde sich garantiert nicht freuen, wenn er noch ein Maul zu stopfen hätte. Klaus hatte ohnehin schon genug zu tun: Er musste das Schloss instand setzen und dem Kloster ein altes, noch vom Vater aufgenommenes Darlehen

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