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Die Bibliothek des Zaren

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Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Donskaja-Uliza, die Schabolowka-Uliza im ersten Fall, und die beiden Serpuchow-Straßen, also die Bolschaja – und die Malaja-Serpuchowskaja-Uliza, im zweiten Fall – direkte Abkömmlinge, sie haben haargenau denselben Verlauf wie die alten historischen Straßen. Sie brauchen einen Tag für die Umgebung des Kaluga-Tors und einen für die des Serpuchow-Tors: Messen Sie in allen fünf Straßen die Entfernung von vierhundertneunzig – meinetwegen fünfhundert – Metern ab, dann gucken wir uns die architektoni-schen und topografischen Angaben zu den entsprechenden Grundstücken genauer an und ermitteln den Hauptverdächtigen. Wie man in Ihrer Heimat sagt: a piece of cake, ein Kinderspiel.«
    ***
    Von wegen a piece of cake! Als Fandorin schon den fünften Tag lang ein und dieselben, ihn anwidernden Bürgersteige abklapperte, fühlte er, wie ihn die Verzweiflung packte.
    Dabei war ihm am Anfang die Aufgabe noch leichter vorgekommen als Maxim Eduardowitsch. Er hielt sich in südöstlicher Richtung, wodurch die Verkehrsadern wegfielen, die gen Süden oder Südwesten führten, und letzten Endes nur eine Straße übrig blieb, die er Schritt für Schritt absuchen musste: die Bolschaja-Serpuchowskaja-Uliza.
    Zwar begann am Kaluga-Platz noch eine Straße, die in südöstlicher Richtung verlief, die Mytnaja-Uliza, aber da sie hundert Jahre nach Cornelius angelegt worden war, kam sie nicht in Frage.
    Anders war es mit der Bolschaja-Serpuchowskaja-Uliza. Vor sechshundert Jahren verlief hier die Landstraße nach Serpuchow, und im letzten Viertel des siebzehnten Jahrhunderts war hier eine recht wohnliche und dicht besiedelte Straße entstanden. 500 Meter von dem Ort entfernt, wo sich früher der steinerne Turm über dem Tor befunden hatte, entdeckte der Magister auf der linken Seite ein langweiliges Gebäude aus Glasbeton, das aus den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts stammte. Das Wischnewski-Institut für Chirurgie; auf der rechten Seite stand ein fünfstöckiges Wohnhaus, das außen blaue Fahrstuhlschächte hatte.
    An der Stelle des Instituts für Chirurgie hatte sich früher ein von Kaufleuten erbautes Armenhaus befunden, das auf der Brandstätte eines Hofes gebaut worden war, der einst dem Hofmarschall Bukin gehört hatte. Fandorin freute sich: Das war doch eine Spur vom Zaren! Aber Bolotnikow wühlte in den Dokumenten und fand heraus, dass der dreimal vermaledeite Bukin sich erst im Jahre 1698 sein Haus dort gebaut hatte, und was vorher an dieser Stelle gestanden hatte (und ob dort überhaupt etwas gestanden hatte), war unbekannt.
    Das Wohnhaus lag auf einem Grundstück, das vor hundert Jahren der Genossenschaft für sozialen Wohnungsbau der Moskauer Gutsverwalter-Gesellschaft gehört hatte. Was sich dort früher befunden hatte, konnte nicht geklärt werden. Maxim Eduardowitsch wühlte sich immer tiefer in Stapel staubigen Papiers hinein (Fandorin bekam schon bei dem bloßen Gedanken daran einen Heuschnupfen), während der Magister jetzt nacheinander sämtliche historischen Straßen abklapperte, die von den ehemaligen Toren des Skorodoms nach Südosten führten. Irgendetwas musste er ja schließlich tun.
    Nach dem Frühstück fuhr er zum Gartenring. Er guckte auf dem Plan nach, wo sich die Tore befunden hatten, und lief eine Strecke von 500 Metern ab. Dann schaute er sich um und notierte die Hausnummern, die er Bolotnikow abends mitteilte. Dicht am Bürgersteig folgte Nicholas langsam ein schwarzer Jeep, in dem zwei Bodyguards saßen und gähnten. Ein paarmal tauchte auch Sergejew auf. Er ging dann ein Stück neben dem murmelnden Engländer her, schüttelte den Kopf und fuhr weg, um seinem Boss Meldung zu machen – wovon, war allerdings unklar.
    Gabunija hielt Wort und belästigte den Magister nicht mehr, nur das Lied über Suliko, das Joseph Guramowitsch nicht ausstehen konnte, quälte Nicholas entsetzlich – ein Ohrwurm, den er nicht mehr loswurde. Schon am frühen Morgen klang es ihm im Takt der Schritte in den Ohren: »Das-Grab-der-Liebs-ten-sucht-ich«, und wollte und wollte nicht aufhören, es war wie verhext.
    Nach langem Zaudern rief Fandorin einmal Altyn an, am Abend. Er sagte natürlich nichts, er lauschte nur ihrer Stimme.
    »Hallo, hallo. Wer ist da?«, klang es unwirsch im Hörer und dann auf einmal entschieden, bohrend: »Nick, bist du’s? Ist mit dir alles in O. . .«
    Dann nahm er sich das Pokrowski-Tor vor – weniger um des praktischen Nutzens willen, als um Cornelius nahe zu sein. Hier hatte

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